„Ohne Schmerzen geht nichts, weder im Training, noch im Wettkampf“.

„Hornhaut an den Händen ist ausnahmsweise Trumpf“.

Seit Gründung des internationalen Verbandes TWIF (Tug War International Federation) 1975 werden die Weltmeisterschaften im  Tauziehen vom 05. bis 08. September 2024 erstmals in Deutschland stattfinden. Die Kombination von Kraft, Ausdauer, Technik und mentale Stärke macht aus einem Hobby einen echten Hochleistungssport. Jedes Jahr finden internationale Wettkämpfe statt: in ungeraden Jahren Europameisterschaften, in geraden Jahren Weltmeisterschaften. Führende Nationen sind aktuell die Schweiz, England, die Niederlande, Irland, Schweden und Deutschland.

Neben Sackhüpfen, war einst auch Tauziehen in den Jahren 1900 bis 1920 olympische Disziplin. Vor allem aber ist es eine feste Größe bei jeglichen „Highland Games“, nicht nur im schottischen Braemar (jährlich Anfang September) mit royalem Glamourfaktor. Da heißt es Hacken in die Erde rammen, beim Startpfiff pfeilschnell anziehen und sich entschlossen in Rücklage fallen lassen. Da fliegen schon mal die Rasenbrocken oder Staubfahnen wirbeln in die Luft. Ganz klassisch gilt es, unter den Augen von Schiedsrichtern, das gegenüber positionierte Team über den markierten Mittelstrich zu ziehen. Das kann mit einem Ruck sehr schnell gehen, kann aber auch mal zu einem ausdauernden Stellungskampf führen.

Vor einigen Jahren war ich selbst einmal in Schottland zu Gast. Das Highland-Spektakel reicht von Baumstammwerfen, über Zement-/ Steinkugel schwingen und Tauziehen bis hin zu Pipes & Drums und Scottish Country Dance Wettbewerben. Selbst in Anwesenheit der Royal Family und der vielen starken Kerle im Kilt ist die Atmosphäre recht entspannt. Mit Decke und Picknickkorb läßt man sich am Rande des Geschehens nieder, folgt dem Geschehen von Station zu Station oder plaudert mit Gleichgesinnten.

Tauziehen als Wettkampfsport

Die diesjährige WM im Mannheim ist um so wichtiger, als sie das Qualifikationsturnier für die kommenden World Games (die Olympischen Spiele der nicht-olympischen Sportarten) 2025 in Chengdu/ China ist. Konkret geht es um die Qualifikation in den Klassen: Männer 640 kg, Frauen 500 kg und Mixed 580 kg.

Athleten aus 25 Nationen, respektive 124 Mannschaften bereiten sich gerade auf dieses sportliche Highlight vor. Teils finden Tauziehwettkämpfe in Sporthallen, teils wie in Mannheim Outdoor auf Rasen statt (was ich deutlich lieber mag). Hier eine Länderliste mit aktuell rund 80 Nationen, in denen Tauziehen aktiv als Wettkampfsport betrieben wird: https://tugofwar-twif.org/member-associations/ „In Deutschland gibt es derzeit rund 25 aktive Vereine, wobei allein 21 in Baden-Württemberg angesiedelt sind. Im Rahmen der Veranstaltung findet auch die WM der Vereine statt. Die meisten Teilnehmer sind daher Doppelstarter in beiden Wettbewerben“, so Corsin Wörner, der Sportdirektor des Deutschen Rasenkraftsport und Tauziehverbandes (DRTV) mit Sitz im Schwarzwald.

Lokalmatadoren sollten auch dieses Jahr die beiden Ladenburgerinnen Fabien Elias und Martina Müller sein. 2022 hatten sie bei der WM bereits Silber gewonnen. Überhaupt scheint weibliche Power angesagt.

Regeln und Voraussetzungen

Vereine aus aller Welt treten gegeneinander an, insgesamt werden in Mannheim 1.200 Athleten erwartet. Jeweils acht Athleten bilden eine Mannschaft. Die Team-Einteilung erfolgt nach Geschlecht, Gewichts- und Altersklassen. Die TWIF World 2024 Junior U24 fanden bereits im Februar in Helsingborg statt.

Zum Einsatz kommen unterschiedliche Seillängen von 32 bis 35 Meter. Der Taudurchmesser beträgt zwischen 3,2 und 4,0 Zentimeter, der Umfang bis max. 12,5 Zentimeter. Die Seile bestehen aus Hanf oder Hanf-Kunststoff mit geringer Dehnung. Ein Reißen kann zwar vorkommen, ist wie sonstige Unfälle (meist Quetschungen oder gar Abtrennen von Fingern) statistisch jedoch selten. Handschuhe dürfen übrigens ebenso wenig getragen werden wie Spikes.  „Das Schuhwerk sei meist eine Art Eigenbau aus knöchelhohen Eishockeystiefeln mit Eisenplatten darunter. Nur etwas Harz an den Händen für den besseren Grip sei erlaubt“, so Wörner.

Bei aller Kampfeslust stehen im Tauziehen jedoch auch Werte wie Respekt, Gemeinschaft, Tradition, Teamgeist, Leidenschaft und Kraft im Vordergrund. Man gewinnt zusammen, mal verliert man zusammen.
Deutsche Erfolge im Tauziehen gab es bereits bei den World Games (2x Silber, 4x Bronze), der WM für  Erwachsene (3x Gold, 3x Silber, 11x Bronze) und Junioren (2x Gold, 15x Silber, 8x Bronze). Mithin stehen die Chancen für deutsche Top-5 und Medaillen-Platzierungen auch in Mannheim gut.  Preis- oder Antrittsgelder sind indes unüblich; Tauziehen ist und bleibt ein reiner Amateursport.

Programm der WM in Mannheim

Der ausrichtende Verband DRTV erwartet an den vier Wettkampftagen rund 10.000 Zuschauer.

1. Wettkampftag – Offenes Turnier (Club WM) / Siegerehrungen/ Eröffnungsfeier/ Rahmenprogramm

Vormittagssession: Männer 560kg | Frauen 540kg | U19 Mixed 520kg
Nachmittagssession: Mixed 580kg | U23 männlich 600kg | U23 weiblich 500kg

2. Wettkampftag – Offenes Turnier (Club WM)/ Siegerehrungen/ Rahmenprogramm

Vormittagssession: Männer 680kg | Frauen 500kg | U19 männlich 560kg
Nachmittagssession: Männer 640kg | U23 Mixed 560kg | U19 weiblich 480kg

3. WettkampftagWeltmeisterschaften |Siegerehrungen | Rahmenprogramm

Vormittagssession: Männer 560kg | Frauen 540kg | U19 Mixed 520kg
Nachmittagssession: Mixed 580kg | U23 männlich 600kg | U23 weiblich 500kg

4. Wettkampftag Weltmeisterschaften | Siegerehrungen | Schlußfeier |Rahmenprogramm

Vormittagssession: Männer 680kg | Frauen 500kg | U19 männlich 560kg
Nachmittagssession: Männer 640kg | U23 Mixed 560kg | U19 weiblich 480kg

Der genaue Zeitplan und vieles mehr ist einsehbar unter: https://tow2024.de/programm

Tickets gibt es an der Tageskasse oder schon vorab unter: ticketservice@snec.de (Preise ab 15.-/ bzw. 19.- Euro)

Das Event findet im Stadion am Alsenweg (auch bekannt als Seppl-Herberger-Stadion) in 68305 Mannheim statt, Beginn ist jeweils 09.00 Uhr

Übrigens: Die Eintrittskarte inkludiert die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel der VRN.

Auf dem Parkplatz Busse aus Schweden, Niederlande, Belgien, Italien, etc. sowie ein SWR-Übertragungswagen. Die Stimmung auf der Tribüne ist großartig; Schweizer Kuhglocken und Wuwuselas feuern die Mannschaften an. Auf dem Spielfeld sind stets mehrere Mannschaften in Aktion und der englisch-sprachige Stadionsprecher ist permanent um aktuelle  Informationen und Bekanntgabe des Stands bemüht. Wer ausschließlich stämmige Kraftprotze erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt. Stramme Schenkel ja, aber sowohl bei den Männern, als auch Frauen sind überwiegend drahtige, durchtrainierte Akteure am Start.

Unter den 23 teilnehmenden Ländern bzw. Regionen (wie z.B. das Baskenland, Wales, Schottland) sind auch „Exoten“ wie Israel, Indien, der Mongolei und Taiwan (= Chinese Taipeh) dabei. Gerade letztere Nation ist sehr erfolgreich, da Tauziehen dort Universitätssport ist. Ich komme mit einem Amerikaner aus Minnesota in’s Gespräch. „Sicher müssen wir die Reisekosten selbst tragen, aber das ist es uns wert“ …“ Ja, die Zugtechnik spiele eine ebenso große Rolle, wie die Kraft. Die meiste Kraft braucht es in den Oberschenkeln, um sich ruckartig oder nachhaltig gegen den Boden zu stemmen. Die Oberkörper- und Armmuskulatur ist eher wichtig, wenn es um das ausdauernde Halten des Seils geht“… „Kommt es zu einer Patsituation in der beide Mannschaften minutenlang an einer Stelle verharren, kann der Schiedsrichter den Kampf abbrechen und neu starten“ …“Die Schuhmodelle sind in der Tat bemerkenswerte Spezialkonstruktionen, denn die besagten Eisenplattensohlen werden meist von einem „Hufschmied“ angefertigt,“ lacht Andrew. Er selbst stamme von skandinavischen Vorfahren ab, viele seiner Teamkollegen von deutschen Einwanderern. „Die Tauzieh-Tradition wird in den Familien fast immer über Generationen weiter gegeben und da schließt sich der Kreis nach Deutschland zu kommen“.

Immer wieder brandet tosender Applaus auf und die Teams wechseln die teils schon strapazierten Kampfplätze. Wer auf dem Rasen also nicht nur Blümchen zählen, sondern im Leben auch mal etwas reißen möchte, ist hier richtig sein. Den WM-Titel bei den Damen gewann das Team aus Taiwan mit 3:0 gegen England. Und auch Deutschland  konnte am letzten Tag einen WM-Titel feiern. Während die Junioren sich Bronze sicherten, gewannen die Männer der Gewichtsklasse bis 680 Kilogramm gegen die Niederländer sogar Gold – trotz nassem Seil und rutschigem Boden. Es war buchstäblich Zentimeterarbeit.

Fotos: PFritz und autorisiertes Bild-/ Videomaterial des DRTV

 

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