Gerade, d.h. vom 11. bis 13.02.2024 ist es wieder so weit: Orangen werden zu Flugobjekten.

Mag sein, daß der bekannteste (italienische) Karneval in Venedig stattfindet. Wer aber etwas Besonderes erleben will, sollte nach IVREA reisen. Diese Kleinstadt im Piemont liegt in der Nähe von Turin und hat knapp 25.000 Einwohner. Zur Karnevalszeit herrscht dort – ähnlich Mainz, Köln oder Düsseldorf – Ausnahmezustand. Was es für das Spektakel braucht? Rund 11.000 Doppelzentner, also tonnenweise Orangen!! Sie sind die Hauptdarsteller und dienen als knallharte Wurfgeschosse. Unter den Anfeuerungsrufen tausender Zuschauer bewerfen sich hunderte Karnevalisten dabei gegenseitig mit den Früchten. Der Ursprung dieser Tradition geht zurück auf das  frühe 19. Jahrhundert und soll an den Befreiungskampf gegen die napoleonischen Besatzer erinnern.

Bereits im Vorfeld sollte man also an unempfindliche Kleidung in rot oder orange (und ggf. an das Tragen einer phrygischen Kappe, als Zeichen der Verbundenheit und Freiheit) denken oder einen sonstigen Kopfschutz tragen. Denn der Spaß kann auch mal schmerzhaft sein. Der absolute Höhepunkt des Carnevale d´Ivrea ist nämlich dieBATTAGLIA DELLE ARANCE“ bei der sich mehrere Teams von Wagen herab gegenseitig mit reifen Orangen bewerfen. Tonnenweise Apfelsinen werden dafür extra aus Kalabrien und Sizilien geliefert. Und diese Orangen sind wirklich saftig, aromatisch und von hohem Zuckergehalt. Wird man am Kopf getroffen und die Orange zerplatzt, braucht man keinen Haarlack mehr. Innerhalb weniger Minuten fühlen sich die Haare wie ein Zuckerhelm an und riechen stundenlang köstlich nach Orangen. Als Zuschauer kann man sich teilweise zwar hinter diverse Netze flüchten, aber mittendrin macht es einfach mehr Spaß. Allein beim Ortswechsel der Schlachtwagen von einer Piazza zur anderen, muß man eben ein paar Querschläger in Kauf nehmen – wupps, trotz Wegducken werde ich einmal prompt an der Schläfe, ein anderes Mal am Oberarm getroffen.

An der Schlacht selbst nehmen fantasievoll geschmückte Wagen teil, deren Lenker die Soldaten des damaligen Herrschers symbolisieren. Sie werden von den Orangenwerfern, die für das aufständische Volk stehen, gnadenlos unter Beschuss genommen. Wie gesagt: Trotz der Helme für die Apfelsinenkrieger und den Schutznetzen für die Zuschauer sollte man vorsichtig sein.

Der seltsame Brauch stammt aus dem Mittelalter

Ein Tyrann namens Marchese del Monferrato überzieht die Bewohner der Stadt mit Gewaltherrschaft und quält junge Frauen u.a. mit dem „Recht der ersten Nacht“. Angeführt von einer Betroffenen („Violetta, die Tochter eines Müllers) kommt es zum Aufstand und die Bewohner der Stadt vertreiben die grausamen Feudalherren durch essbare Wurfgeschosse. Zur Erinnerung an ihren Sieg und Symbol der Freiheits-Revolte werden deshalb zur Karnevalszeit heute noch die vorbeiziehenden Wagen attackiert. Im Mittelalter, wurden jedoch Bohnen statt Orangen benutzt. Tatsächlich erhielten arme Familien zweimal im Jahr einen Topf Bohnen als Geschenk vom Feudalherrn. Eine Geste, die die nicht allzu sehr geschätzt wurde, denn als Zeichen der Verachtung warfen sie diese Bohnen auf die Straße oder verwendeten sie im Karneval als „Kugeln“ bzw. Attacke auf die improvisierten Gegner.

Aber zurück zu den Orangen: Die Schlacht wie sie heute inszeniert wird, geht ins neunzehnte Jahrhundert zurück, als die Mädchen sie während des Karnevalsumzugs von den Balkonen zusammen mit Konfetti, gezuckerten Mandeln, Lupinen und Blumen zu werfen pflegten. Der Grund? Um die Aufmerksamkeit der jungen Teilnehmer des Umzugs auf sich zu ziehen! So wurde au der Spaß-Geste ein scherzhafter Zweikampf. Zwar gab es immer wieder Versuche diese Balkon-Duelle und das Kopf-an-Kopf-Rennen zu unterbinden, jedoch gelang es erst nach dem zweiten Weltkrieg mit der Gründung der ersten Mannschaft der Orangenwerfer, den „Kampf“ nach den heutigen spezifischen Regeln ablaufen zu lassen.

Ursprünglich waren es die Abbà, die Oberhäupter, der einzelnen 5 Stadtteile, die bis 1808 fünf verschiedenen Karnevals organisierten. Als Erkennungszeichen trägt jede von ihnen ein Schwert mit einer Orange am Ende, die an den abgetrennten Kopf des Tyrannen erinnern soll, oder ein Brot, das auf einem Spieß steckt.

Eine weitere sehr wichtige historische Figur des Karnevals ist der „Generals“, der besagte Violetta im historischen Umzug begleitet, gekleidet in ihrer napoleonischen Armeeuniform und Symbol der städtischen Autorität. Wie auch immer: Die Siegermannschaft wird am Faschingsdienstag geehrt und am Aschermittwoch findet abschließend ein traditionelles Essen mit Fisch und Polenta statt.

Das kann man nicht beschreiben, das muß man erlebt haben !

Auch der Storico Carnevale d´Ivrea 2025 findet wieder über sechs Tage hinweg statt; das nächste Mal wieder vom unsinnigen Donnerstag bis Faschingsdienstag (27.02. bis 04.03.02.25). Höhepunkte werden auch dann wieder die berühmten Orangenschlachten, die „Battaglie delle Arance“ sein, welche am Faschingssonntag beginnen und drei Tage mit wechselnden Attraktionen andauern.

Eine ähnliche Veranstaltung findet seit August 1945 in bzw. nahe Valencia/ Spanien statt, und zwar stets am letzten August-Wochenende. Bei der sog. „TOMATINA“ fliegen statt der Orangen dann tausende von Tomaten.

Bildquellen: Storicocarnevaleivrea.it, B. Torra und PFritz

Anmerkung: Wer Bedenken hat, die genannten Lebensmittel als Gaudielemente einzusetzen, der sollte diesen Brauchtumsveranstaltungen ganz einfach fernbleiben. Besserwisserisches Geschwätz darüber was, wann, wo heute opportun oder politisch korrekt ist, braucht dort keiner. Und erst recht keinen Fingerzeig  von Ausländern.

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