Das BedrettoLab (Bedretto Underground Laboratory for Geosciences and Geoenergies) ist eine einzigartige Forschungsinfrastruktur der ETH Zürich, die einen genauen Blick in das Erdinnere ermöglicht. Deshalb wird dieser Ort oft auch als Bedretto-Fenster bezeichnet. Es liegt in den Schweizer Alpen ca. 1,5 Kilometer unter der Erdoberfläche und inmitten eines 5,2 Kilometer langen Tunnels im Tessin. In diesem ungewöhnlichen Felslabor haben Forschende schon seit einigen Jahren Verwerfungen mit zahlreichen Sensoren bestückt, um die Entstehung von Erdbeben besser zu verstehen. Das Wissen darum könnte im Zweifelsfall viele Leben retten.

Selbst in äußerst erdbebenarmen Ländern wie der Schweiz, kommt es immer mal wieder zu merklichen Erschütterungen. So zuletzt Mitte des Jahres 2025 bei Mürren (Kanton Bern) ein Erdbeben der Stärke 4,2. Größere Schäden entstanden dabei nicht, allerdings wurde so im nahe gelegenen Sefinental ein Steinschlag ausgelöst, der – anders als der massive Felssturz in Blatten/ Wallis im Mai – zum Glück ebenfalls folgenlos blieb. 

Ausgestattet mit modernster Technik bietet das BedrettoLab ideale Bedingungen für experimentelle Forschung mit dem Schwerpunkt „Verhalten des tiefen Untergrunds bei der Erschließung und Stimulation“. Ein solcher Zugang ist das perfekte Experimentierfeld, um wissenschaftliche Erkenntnisse in verschiedenen Bereichen, einschließlich Geothermie und Erdbebenphysik, voranzutreiben. Es ist ferner relevant, neuartige Techniken und Sensoren dafür zu entwickeln. 

Zwei Stunden mit Wissenschaftlern tief im Berg

Dieser Tunnelabschnitt bzw. der Stollen von Ronco im Bedrettotal bis zum Furka-Basistunnel gilt als der längste Tunnel der Schweiz, der nie benutzt wurde. Bis 2004 wurde der Bedrettostollen noch regelmäßig inspiziert. Drei Einstürze nach 2004 im nördlichen Teil machten ihn schließlich unbegehbar. Als 2015 in der Mitte des Tunnels eine Ventilatorenanlage für die anstehenden Bauarbeiten im Furka-Basistunnel erstellt wurde (Im Falle eines Feuers im Furkatunnel würde über diesen Stollen Frischluft für die Passagiere zugeführt), machte man auch den Bedrettostollen wieder behelfsmässig begehbar. Der südlichere Teil des Stollens hat seit 2019 einen neuen Verwendungszweck als Felslabor gefunden. Kürzlich hatte ich die seltene Gelegenheit einen Einblick in diese besondere Forschungsstation zu erhalten. Auf den sehr informativen Seiten der ETH kann man u.a. einen virtuellen Gang in die Arbeitswelt erhalten.

Der Tunnel endet bzw. beginnt am Rande einer Kiesgrube und noch heute kann man bei Betreten sofort den Verlauf der inzwischen abmontierten Baugleise in seiner Mitte erkennen. Rechter Hand verläuft ein Wasserkanal und vielerorts tropft es von der Decke und den Wänden. Im Stollen herrscht das ganze Jahr über eine Temperatur von 9 bis 12 Grad Celsius. Wasserfeste Kleidung und stabiles Schuhwerk sind zur Begehung unerläßlich.

Begleitet von drei wissenschaftlichen Guides geht es mit Helm und Stirnlampe ausgestattet immer tiefer in den Berg. An einigen Punkten gibt es Erklärungen zu größeren oder kleineren Rissen und Gesteinsstrukturen (meist Gneis und Granit). An verschiedenen Stellen liegen Bohrkerne, verlaufen Unmengen von Rohren und Kabeln, stehen Meßgeräte und flackernde Monitore. Nach ca. 40 Minuten Fußmarsch erreichen wir schließlich das „Epizentrum“ des Geschehens. An diesem Tag finden freilich keine Arbeiten oder Experimente statt, die diversen Gerätschaften wie Bohrer und Sensoren sind jedoch vor Ort und Jedermann zugänglich. Auf einigen Tafeln werden zudem Vorgehensweisen und Techniken erläutert. Vieles erinnert an die Fracking-Methode. Forschungsschwerpunkte sind demgemäß Erdbebenforschung und Geothermie.

Schwerpunkt Erdbeben- und Geothermieforschung 

Ein Bildschirm zeigt u.a. minimalste Beben pro Sekunde, d.h. es sind permanent viele kleine parallel verlaufende Zickzack-Linien zu sehen. Spontan entsteht die Idee, einmal kräftig vor dem Gerät zu hüpfen. Eine unterschiedliche Linienführung konnte damit allerdings nicht hervorgerufen werden. Will heißen: die natürlichen Minibeben und Erdbewegungen liegen deutlich über diesem Erschütterungsmaß; ein Mensch spürt sie allerdings nicht.

Wenn hier ein Erdbeben ausgelöst werden, dann nur mit einer Magnitude 1. Dieses Maß liegt deutlich unter der Schwelle menschlicher Wahrnehmung, die laut ETH Zürich an der Oberfläche in etwa bei einer Magnitude von 2,5 liege. Dafür wurde extra ein 120 Meter langer, neuer Seitentunnel in den Berg getrieben, der parallel zu einer natürlichen Verwerfungszone verläuft, was ein optimales Untersuchungsspektrum zuläßt. Mit großem Druck wird dann Wasser in diese Verwerfung gepumpt. Das soll die Gesteinsblöcke bewegen, genauer gesagt: einen 50 Meter großen Gesteinsblock um etwa einen Millimeter zu verschieben.

Zwei (deutsche) Teilnehmer der Besuchergruppe sind ebenfalls vom Fach, denn sie arbeiten derzeit an der Erweiterung des Gotthard-Autotunnels mit. Sie fachsimpeln untereinander und lassen mich an ihren Überlegungen teilhaben. Wie z.B. welcher Druck bzw. welche Barzahl wohl nötig ist, um mit der Fracking-Methode, hier 1,5 Kilometer über uns im/ am Berg, ein Beben auszulösen. Wir errechnen weit über eintausend Bar. Sprengungen finden übrigens äußerst selten statt und natürlich hält sich bei einer Versuchsauslösung gleich welcher Art niemand im Tunnel auf. Zurück bleiben nur die Gerätschaften, die alle Daten rund um die Uhr direkt nach Zürich melden, wo sie ausgewertet werden.

Prinzipiell geht man davon aus, daß sich die so angestoßenen Wellen bzw. die Druckwellen mit der Entfernung vom Epizentrum (ähnlich einer Meereswelle) immer weiter abflachen. Aber man wisse nie genau, ob es aufgrund der geologischen Strukturen (einschl. Hohlräumen), an einer anderen Stelle nicht doch zu einer Häufung oder Stockung kommt, wodurch sich Kräfte potenzieren und somit doch größere Umfänge an Verwerfungen und Erschütterungen ausgelöst werden können. Wenn ja, treten diese früher oder später zwar auch auf natürlichem Weg ein, weshalb man Kritik oder Skepsis an den unterirdischen Versuchen nur bedingt nachvollziehen könne. Das ganze sei etwa vergleichbar mit vorsorglich künstlich ausgelösten Sprengungen von Schneebrettern, um unkontrollierte Lawinenabgänge zu vermeiden. Hier, um tektonische Erdverschiebungen bzw. Felsreibungen und -verharkungen nicht anzustauen und größere Beben ggf. zu vermeiden, etc.

Wir beginnen zu verstehen, wie sich Verwerfungen unter den Alpen bewegen“ so Prof. Domenico Giardini in einem Bericht vom April 2023.

In der Vergangenheit haben die unerwünschten Folgen wie spürbare oder schädliche Erdbeben bei großen Geothermie-Projekten gezeigt, dass wir besser verstehen müssen, was tief unter der Erde passiert, wenn wir Wasser injizieren oder heißes oder kaltes Wasser entnehmen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass geothermische Reservoires mit Temperaturen von mindestens 180°, die für die Stromerzeugung benötigt werden, in nicht vulkanischen Regionen wie der Schweiz zwangsläufig vier bis sechs Kilometer tief unter der Erde liegen (in Mitteleuropa rechnet man durchschnittlich 3 Grad C Erwärmung je 100 Meter Tiefe). Normalerweise wissen wir nur wenig über den tiefen Untergrund und sind gezwungen, die meisten Messungen von der Oberfläche aus durchzuführen. Wir wussten also: Wenn wir in Zukunft (in der Schweiz) Geothermie nutzen wollen, müssen wir die Prozesse im tiefen Untergrund besser verstehen (die Firma Siemens ist übrigens maßgeblich an den Forschungen im BedrettoLab beteiligt). In der Schweiz gibt es bereits seit langem zwei Untergrundlabore im Monte Terri und Grimsel. Die Experimente, die wir zwei Jahre lang im Grimsel durchgeführt haben, ermöglichten es uns, in einer Tiefe von einigen hundert Metern und im Maßstab von einigen Zehntel Metern zu arbeiten. Wir waren jedoch auf der Suche nach größeren Gesteinsvolumina in Tiefen von ein bis zwei Kilometern und sind froh einen geeigneten Ort mit entsprechenden Bedingungen gefunden zu haben.“

Auf dem Rückweg greife ich nach zwei Stunden Höhlentour noch schnell ein größeres Gesteinsstückchen als Souvenir. Die neuesten Ergebnisse des BedrettoLabs kann man im Internet mitverfolgen. Spannender und praxisbezogener respektive zukunftsorientierter kann interaktive, interdisziplinäre Wissenschaft kaum sein.

Jüngster interdisziplinärer Ansatz –  Mikrobenforschung

Mitttlerweile wird im Bedretto Lab nicht nur Erdbeben- und Geothermieforschung betrieben. Unter dem Projektnamen DELOS (Deep Life Observatory) sucht die Geobiologin Cara Magnabosco im Gestein des BedrettoLab nach Mikroorganismen, die tief unter der Erdoberfläche leben. Man erhofft sich dadurch neue Hinweise darauf wie Leben entstehen konnte. „Man schätzt, daß im tiefen Untergrund mehr Mikroorganismen leben als an der Erdoberfläche und in allen Gewässern zusammen“ so Magnabosco. Im Gegensatz zu praktisch allen befahrenen Tunneln oder senkrechten Bergwerksschächten, sind die Wände des Bedretto-Tunnels nicht mit Zement und Beton verputzt, so dass es möglich ist, Proben von Gesteinslebewesen an vielen verschiedenen Stellen zu  entnehmen. Die meisten Messstationen fangen Wasser auf, das durch natürliche Gesteinsrisse oder -klüfte eindringt. Mittels Analysen von Wasserproben filtern die Forschenden Lebewesen aus ihnen heraus und extrahieren das darin enthaltene Erbgut.

Die neueste Studie zeigt: Die Vielfalt des Lebens im BedrettoLab ist enorm. Die Forschenden zählten nicht weniger als 14.500 Sequenzierungsvarianten, die als Mass für die Anzahl der Arten bei Mikroorganismen dienen. Diese Vielfalt von 64 verschiedenen biologischen Stämmen habe selbst sie überrascht, sagt Magnabosco. Die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften unterscheidet sich von Standort zu Standort sehr stark. Ein besonders interessanter Fund war die Population ultrakleiner Bakterien. Sie sind etwa zehn Mal kleiner als «normale» Bakterien und erreichen gerade einmal Längen von ungefähr nur etwa 200 Nanometer, was einem Milliardstel eines Meters entspricht. Als noch interessanter bezeichnet Magnabosco die Entdeckung, daß selbst das kleinste Beben zu kurzfristigen Veränderungen der Bakterien an einer Messstelle führte. Als Fernziel könnten derartige Forschungen auch ein wichtiger Schritt sein, um die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben in fernen Welten zu verstehen.

 

Fotos: PFritz
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