Egal in welcher Form, Modezar Karl Lagerfeld  (1933 bis 2019) läßt sich stets aus völlig neuen Perspektiven entdecken. Gerade bietet sich dafür in der kleinen, aber stilvollen Galerie Lazarus in der Wexstraße mitten in Hamburg eine Gelegenheit. Diese Ausstellung ist mehr als eine Hommage an den Designer und lädt zum Eintauchen in die Gedankenwelt der Mode- und Kunstbranche ein.

Die unter der Woche kostenlose Ausstellung mit dem Titel „Kaiser from Paris“ ist von einem kleinen unabhängigen Team kuratiert und zeigt ausschließlich Exponate aus Privatbesitz. Darunter auch ein paar seiner Handschuhe und Goldschmuck. Zu sehen sind ferner  sehr persönliche Portraits und Werke – vorwiegend Modeentwürfe samt Anmerkungen mit Stoffmustern – aus dem Umfeld von Lagerfelds Tätigkeit bei seinen Mode Labels. Einige Stücke können sogar käuflich erworben werden.

„Lagerfelds kreative Welt erleben wie nie zuvor“

Für wen hat er nicht alles gearbeitet, darunter die renommierten Modehäuser Balmain, Fendi, Chloé und Chanel. Manchmal hat er über 30 Kollektionen pro Jahr entworfen. Die Ideen flossen nur so aus seiner Feder. Manchmal waren es, wie im Falle eines Mantels, aber auch über 300 Versuche. KL ist, wie Wolfgang Joop, ein fantastischer Skizzenzeichner mit großer Dynamik. Seine handschriftlichen Anmerkungen darauf gleichen allerdings meist Hieroglyphen und konnten oft nur von seiner Atelierleiterin (bei Chanel) Madame Virginie Viard entschlüsselt werden. Sie wurde (dort seit 1987 tätig) nach seinem Tod zu seiner Nachfolgerin ernannt.

Seltene Aufnahmen und Videos zeigen Karl Lagerfeld in speziellen Momenten als Designer, Künstler und Visionär. Sei es hinter den Kulissen mit berühmten Weggefährten wie z.B. Yves Saint Laurent oder Model Ines de la Fressange, aber auch Szenen seines kreativen Schaffensprozesses. Einzigartige Dokumente geben Aufschluss über seine präzise Denkweise, seinen Humor und seine unermüdliche Hingabe zur Perfektion.

Zu sehen sind überdies eine von Jared Bartz entworfene Skulptur in Bronze und Aluminium sowie ein Modell von Lagerfelds entworfener Kunstfigur „Chanel Be@rbrick“. Nur 1.000 dieser Mickeymouse ähnlichen Figuren wurden hergestellt; die meisten von ihnen in Chanel-Boutiquen ausgestellt. Das Stück ist der Chanel-Gründerin Coco Chanel nachempfunden und trägt daher ihr klassisches Outfit: eine Chanel-Jacke und Perlen. Über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten.

„Auch ein Genie hat es nicht immer leicht“

Sein Vater, ein Kondensmilchfabrikant (Glücksklee), war selten zu Hause und so wuchs er unter der Rigide seiner kapriziösen Mutter im Stadtteil Blankenese und während des Krieges vor den Toren von Hamburg in Bad Bramstedt auf Gut Bissenmoor auf. Immerhin blieben ihm dort die Bombennächte erspart. Der Umgang mit dem Tod blieb für ihn bis zu seinem Lebensende ein traumatisches Thema.

Für ihre Kinder Karl Otto und Christiane nahm sich Mutter Elisabeth (verst. 1978) wenig Zeit und deshalb ermahnte sie ihn stets schnell zu sprechen bzw. seine Anliegen auf den Punkt zu bringen. Somit liegt nahe, daß seine typische, etwas überhastet wirkende Sprechweise in Verbindung mit seinen sprudelnden Ideen, egal ob in Deutsch oder Französisch, da seinen Ursprung hat. Andererseits wußte seine  Mutter ihn aber mit Nachdruck gegenüber Lehrern zu verteidigen, die sich an seinem Äußeren, also seinen längeren Haaren und einer Vorlieb für Sakkos störten.

Nachdem er bereits 1949 einmal in Paris am Lycée de Montaigne zur Schule ging, zog es ihn 1953 endgültig in die Stadt der Mode. Deutsche waren zu dieser Zeit nach dem 2. Weltkrieg nicht gerne gesehen und so beschloß er „sein Standing“ dadurch zu verbessern, dass er sich ein paar Jahre jünger machte, um nicht mehr als Kandidat der Hitlerjugend (in der er ohnehin nicht war, wohl aber sein Vater in der NSDAP) zu gelten.

1991 kaufte er die ehemaligen Villa Schüler in Hamburg-Blankenese und nannte sie in Gedenken an seinen 1989 verstorbenen  Lebensgefährten Jacques de Bascher  um in „Villa Jako„, bewohnte sie im Grunde aber nie und verkaufte das Anwesen nur wenige Jahre nach seiner Umgestaltung und Einrichtung wieder. Die Liebe zum besagten selben Mann (KL lernte ihn 1972 kennen) machte ihn und Yves Saint Laurent zu ewigen Rivalen. Die Welt der Aristokratie bzw. deren historische Eleganz scheint ihn stets inspiriert zu haben. Nicht zuletzt deshalb wählte er ab einem gewissen Alter nach seiner radikalen Diätkur im Jahr 2000 (innerhalb von 13 Monaten nahm er über 40 Kilo ab) den weißen gepuderten Zopf mit schwarzer Schleife. Zudem wollte er wie seine Models in die schlanken Anzugmodelle von Dior bzw. Designer Hedi Slimane passen.

Es war übrigens auch der Einfluß seiner Mutter, daß er später häufig (fingerlose) Handschuhe trug. In seiner Jugend soll sie seine Hände einmal als häßlich bezeichnet haben. Das häufige Mitführen eines Fächers war ebenfalls nicht nur ein Statement, er nutze ihn auch, um  Zigarettenrauch und den ein oder anderen Paparazzi abzuwehren.

„Lagerfeld und sein Hamburg“

Er ist einer der berühmtesten Söhne Hamburgs, wurde in seiner Heimatstadt bisher aber eher wenig gewürdigt. Es gibt es keine Dauerausstellung in einem der zahlreichen Museen oder in einer Villa, wie sie gerade dem Starchoreografen John Neumeier zuteil wird. Erst fünf Jahre nach seinem Tod, am 30.05.2024, widmete man dem Katzenliebhaber und Frühaufsteher immerhin eine Promenade entlang des Bleichen-Fleets in unmittelbarer Nachbarschaft zum Neuen Wall, wo sich unzählige Designershops wie Armani, Joop, Gucci, L. Vuitton und natürlich auch Chanel befinden.

Leider wurde auch die Villa seiner Kindheit in Bad Bramstedt vor einigen Jahren abgerissen, obwohl es angeblich einen Käufer gab. Auf dem Gutsgelände befindet sich nun ein Golfclub.

Dennoch besuchte KL Hamburg immer wieder, insbesondere für die Eröffnung von Ausstellungen und Veranstaltungen, die mit seinen Entwürfen in Verbindung standen. So zuletzt 2017, als eine große Chanel-Modenschau (Prêt-à-porter) in der Elbphilharmonie zu Orchesterklängen und Hans-Albers Shantys stattfand – die erste in Deutschland überhaupt. Mit den maritimen Looks a la Captain Karl hatte er seiner Heimatstadt eine fast schon sentimentale Liebeserklärung gemacht. „Ich bin nun einmal Hamburger“ und schließlich hatte schon Coco Chanel 1917 Kapitänsmützen und Ringelhemden salonfähig gemacht. Bei KL trugen die Damen „Elbsegler“ und „Tellermützen“ auf dem Kopf. Die Hüte sah man auch im Publikum; Lagerfeld hatte sie angeblich als Gastgeschenk in die Hotelzimmer legen lassen.

Nach knapp 20 Minuten war die Show vorbei und „Dandy Karl“,  klassisch mit Gehrock, engen Jeans und Vatermörderkragen gekleidet, betrat kurz die Bühne. Den Schlußapplaus empfing er an der Hand des Kindermodels Hudson, eines seiner sieben Patenkinder.

„Legendäre Lagerfeld-Zitate und  Ausstellungs-Schlußakkord am 12. Juni“  

Unzählige Bücher und Artikel wurden über ihn geschrieben. Er selbst soll eine Sammlung von 300.000 Büchern besessen haben. In meinem Besitz ist u.a. das schwarze Büchlein „KARL“ mit einer Zitatensammlung von Paul Sahner. Hier ein kleiner Auszug, der viel über den für seine Schlagfertigkeit bekannten Menschen sagt:

  1. Als Kind wollte ich Konditor werden. Aber meine Mutter verbot es mir mit der Begründung: „Kommt nicht in Frage, macht dick.“
  2. Kinder machen Lärm und können enttäuschend sein. Ich gebe allen Kindern, die ich treffe, denselben Rat, den ich als Kind bekommen habe. Entweder du machst auf erwachsen oder du hältst gleich den Mund.
  3. Ich bin keine Opfernatur, bestehe nur aus Egoismus, bin auch niemandem für etwas dankbar. Dankbarkeit ist ein klebrig-mittelmäßiges Gefühl.
  4. Nur wenn man Wortspiele in vier Sprachen beherrscht, wird die Unterhaltung amüsant.
  5. Ich brauche keinen Psychoanalytiker. Ich gebe ja Interviews.
  6. Manchmal schaffe ich 26 Ringe auf einmal, aber dann müssen auch die Daumen dafür herhalten.
  7. Schränke, Schränke, Schränke mit identischen Sachen drin, mit Hunderten von weißen Hemden. Das ist der Höhepunkt des Luxus. Am Tag zweimal ein sauberes Hemd anzuziehen, das wunderbar gebügelt ist, und nur weiße Unterwäsche, die ich meistens nach einem Mal wegschmeiße. Ich habe eine endlose Auswahl weiß und schwarze Socken, schwarze Schuhe, schwarze Hosen …. meine Kleiderschränke sind wie Scherenschnitte.

Nicht zu vergessen „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“.

Seine letzte goldene Naht …

Nicht nur seine Lebensgeschichte, der Mensch Karl Lagerfeld ist und bleibt unvergleichlich und mit seinen Werken unvergesslich. Ein Karl Lagerfeld stand/ steht für sich – ob man ihn mag oder nicht.

==> Wer ganz schnell ist, kann in den nächsten Tagen und bei der  Finissage am Donnerstag, den 12. Juni in Hamburg noch live dabei sein.

Quasi In Memoriam KARL

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