Was ist 366 Meter lang, 51 Meter breit, ca. 70 Meter hoch, hat beladen einen Tiefgang von 17 Metern und ist mit einer Maschinenleistung von 55.000 Kilowatt (ca. 75.000 PS) bis zu 22 Knoten schnell?
Es ist der neue Containerriese „MSC Germany„. Das Schiff kann bis zu 16.000 TEU, also 40 Fuß (ca. 12 Meter) Standard-ISO Container an Bord nehmen. Es ist das „jüngste Kind“ von MSC, der aktuell größten Reederei der Welt und wurde am 14.06. in Hamburg im Rahmen des „Yellow Festivals“ getauft. Taufpatin war die Hamburger Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard, die gegen 20.20 Uhr im Beisein vieler Gäste, darunter die MSC-Topmanager Sören Toft und Nils Kahn, den Taufmechanismus auslöste.
Der Countdown läuft
Ja, auch große Schiffe fangen ganz klein an, bevor sie auf Große Fahrt gehen. D.h. sie werden Stück für Stück zusammengesetzt: zunächst der Rumpf samt Skelett und Kiellegung im Trockendock, dann per Stapellauf zu Wasser gelassen und weiter nach oben und innen ausgebaut – oft in Modulbauweise.
Schon von meinem Wohnzimmerfenster aus kann ich sie seit zwei Tagen am Burchardkai liegen sehen. Am 14.06. gegen 17.30 Uhr wird der Frachter schließlich rückwärts mit Hilfe von vier Schleppern vor die St. Pauli Landungsbrücken gezogen und dort für drei Stunden in Position gehalten. Nun ist die Elbe durch die Wasserschutzpolizei für den gesamten Durchgangsverkehr gesperrt. Tausende Zuschauer haben sich am Ufer bereits versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen. Wer die Bordwand nahe des Namenszuges aufmerksam absucht und das Taufprocedere etwas kennt, wird schnell fündig: Steuerbord vor dem Bug über den Buchstaben ER des Wortes GERMANY hängt in einer Stellage ein kleines Etwas mit wehenden gelben Bändern. Aufgrund der Größenverhältnisse kann man mit bloßem Auge nur ahnen, das es sich dabei um die besagte Sektflasche handelt.
Nach einigen Ansprachen auf dem Oberdeck der Landungsbrücken und den dort versammelten Ehrengästen, also nicht an Bord des Schiffes, präsentierte NDR-Moderator Christian Buhk auf einem im Elbstrom liegenden Ponton umrahmt von zwei großen HHs die wichtigsten derzeitigen Besatzungsmitglieder. Darunter Kapitän Chris Pugh und Chief Mate Petar Popovic, der sich als Cheftechniker um die Hauptmaschine kümmert, damit alles wie geschmiert läuft. Begleitet wird die Szenerie von einem Shanty-Chor.
So wenig Prickelbrause für so viel Schiff
Kurz wird es stiller. Quasi auf Knopfdruck aus der Ferne, vom Ort der Feierlichkeiten aus, also ohne klassischen Wurf der Patin, zerspringt die Flasche mit einem kurzen Zischen auf dem stählernen Rumpf in tausend Teile. Lediglich die Gischt der Flüssigkeit macht den Vorgang halbwegs sichtbar. Dann ein Tuten des gewaltigen Horns, kreischende Möwen fliegen aufgeschreckt umher. Als Draufgabe unter Applaus des Publikums steigen gelbe Rauchraketen auf, die allerdings etwas wie Schwefeldampf wirken.
Ein Schiff zu taufen ist eine große Ehre und wird nur wenigen Menschen zu Teil. Die MSC Euribia, „Opera“ und „Meraviglia“ wurden z.B. von Sofia Loren getauft. Die ebenfalls in Pozzuoli/ Neapel aufgewachsene Loren (alias Sofia Scicolone) scheint besonders gute Beziehungen zur Reederfamilie Aponte zu haben, da sie schon bei mehreren Schiffen Patin war. Im April 2025 waren es bei der MSC-World-America-Taufe in Miami die Schauspieler Drew Barrymore und Orlando Bloom. Als Gäste geladen waren bei anderer Gelegenheit auch schon der Weltumsegler Boris Herrmann (MSC ist u.a. Sponsor seiner Rennjacht Malizia) und die Olympia-Kunstturnerin Sarah Voss. Es gab aber auch schon ganz ungewöhnliche Taufpaten, wie die Kegelrobbe Nemi, die mit Hilfe einer Tierärztin für die „Hanseatic Spirit“ den Buzzer drückte.
Nur wenig später beginnt das Gratis-Konzert mit der Hamburger Sängerin Zoe Wees, das an diesem lauen Sommerabend mit einem kurzen, aber heftigen Feuerwerk schließt.
Wer steht hinter MSC?
Alles begann 1970 mit einem Schiff. Das globale Logistik- und Schifffahrtsunternehmen zählt heute über 200.000 Mitarbeiter und 675 Niederlassungen in 155 Ländern. Gefahren werden über 300 verschiedene Routen mit 520 Häfen. Laut Internet besitzt MSC zur Zeit 560 Schiffe (Weltmarktführer in der Containerbranche), darunter auch 23 Kreuzfahrtschiffe.
Auch MSC Cruises, also die Passagierschiffabteilung, treibt den Ausbau seiner Flotte voran. Erst Anfang Mai hatte die Reederei zwei weitere Kreuzfahrtschiffe der sog. World Class bei der französischen Werft Chantiers de l’Atlantique in Saint-Nazaire in Auftrag gegeben.
Gründer des Familienunternehmens und einst selbst Kapitän zur See ist Gianluigi Aponte (*1940), heute mindestens 20 Milliarden Euro schwer. Ein fast ebenso hoher Anteil entfällt auf seine Frau Rafaela Aponte-Diamant. Laut Forbes Ranking liegt sie damit auf Platz 5 der reichsten Frauen der Welt – wer hätte das gedacht. Inzwischen hält Sohn Diego Aponte als Group Chairman die Fäden in der Hand. Auch Tochter Alexa ist als CEO bei MSC tätig; alle leben in Corsier nahe Genf. Das nennt man Bilderbuchkariere mit außergewöhnlicher Geschichte. Aus Verbundenheit zu seiner Heimatstadt Sorrent bzw. Neapel rekrutiere „Il Commandante“ angeblich noch heute einen Teil der Besatzungen von dort.
Bisher residiert MSC (Mediterranean Shipping Company), das in Deutschland u.a. Büros in Bremen, Berlin und Frankfurt unterhält, in der Hamburger Speicherstadt Am Sandtorkai, plant hier aber eine neue Deutschland-Zentrale. Seit 2024 hält MSC übrigens 49,9 Prozent an dem traditionsreichen Hamburger Hafenkonzern. Nicht gerade zur Freunde des Hauptkonkurrenten bzw. Hapag-Lloyed Großaktionär und Spediteur Klaus-Michael Kühne.
Wo Licht ist, ist auch Schatten
Laut Hamburger Abendblatt vom 04.03.25 gibt es aber nicht nur gute Nachrichten seitens MSC, denn die Reederei zieht demnächst überraschend alle Großcontainerschiffe aus Nordeuropa ab. D.h. alle Schiffe der Megamax-Klasse mit einer noch größeren Kapazität von 19.200 bis 24.300 Standardcontainern (TEU). Sie sollen stattdessen auf den Strecken zwischen Asien-Mittelmeer sowie Asien-Westafrika fahren. Grund seien die – laut Shanghai Containerized Freight Index (SCFI) – gesunkene Frachtraten von 44% auf 1578 Dollar (1511 Euro) pro TEU Anfang des Jahres. Zum Jahresbeginn 2024 hatte der Transport eines Containers nach Europa noch durchschnittlich 3700 Dollar gekostet, usw.
Ein wenig kenne ich das Containergeschäft, denn 2019 war ich mit einem niederländischen Flußschiffer auf dem Rhein nach Antwerpen unterwegs, der mit seinem Koppelverband immerhin 400 Container an Bord hatte. Lademanagement und Planung sind eine Wissenschaft für sich. Da heißt es nicht nur permanent Aufträge „an Land zu ziehen“ um Leerfahrten zu vermeiden, sondern die Containerplatzierung so zu planen, daß der richtige Container zum richtigen Zeitpunkt nicht ganz unten im Bauch ist und alles darüber umgeladen werden muß etc. Die Liegegebühren sind nämlich erheblich.
Gelebte Globalisierung der Seefahrt
Die Jungfernfahrt des modernen LNG-Containerschiffes wird von Hamburg aus u.a. nach Antwerpen, Port Klang (Malaysia), Singapur, Busan/ Südkorea, Shanghai, Sines/ Portugal, Le Havre, Rotterdam, Göteborg und Aarhus führen, bevor es nach 105 Tagen wieder nach Hamburg zurückkehrt, um am HH-LA-CTB-Terminal fest zu machen. Das Routing bezeichnen die Fachleute auch als „Hafen Rotation„, denn nicht immer werden entlang einer Route – je nach Ladung und Frachtaufkommen – alle Häfen angelaufen.
Gibt es weitere Superlativen? Nun ja. Die Reederei hat ihren Sitz in Genf/ Schweiz, die milliardenschweren Eigentümer stammen aus Neapel/ Italien, gebaut wurde es in Nanjing/China, sein Heimathafen ist Monrovia/ Liberia, getauft wurde es in Hamburg und die Besatzung kommt sowieso aus aller Welt. Was ungewöhnlich klingt, ist in der Seefahrt seit langem an der Tagesordnung. Über die Baukosten des Täuflings darf spekuliert werden; sie dürften um die 800 Millionen Euro liegen.
In diesem Sinne: Bye-Bye, allzeit gute Fahrt und immer eine Hand breit Wasser unter dem Kiel! Der Vesselfinder bzw. IMO-Code der MSC Germany lautet übrigens: 9987316.