Man trifft sich, man kennt sich. Ich bin zu Gast in Barbara Heines sinn\salon, der sich den unterschiedlichsten Themen widmet; zuletzt dem „Internationalen Seemanns Club“ und einem deutschen Leuchtturmwärter in Norwegen.

In dieser Ausgabe geht es quasi auf Weltreise, d.h. auf Spurensuche globaler Kultphänomene – ein wahrer Culttrip also. Fünf Auslandskorrespondentinnen von WELTREPORTER.NET, die an sozio-politischen Brennpunkten rund um den Globus recherchieren, berichteten am 12.07. im Tonali-Forum in Hamburg über psychologische, kulturelle und soziale Mechanismen, die Menschen weltweit in ihren Bann ziehen. Sie zeichnen unterschiedliche Kult-Bilder und geben Denkansätze zur Erkennung von harmlosen bis fragwürdigen Hypes mit Tendenzen zu bedrohlichen Abhängigkeiten. Das ist Kult(ur), das muß man haben, mögen oder dabei sein – von wegen!

Renommierte Referentenliste mit Frauenpower

Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Alle hier anwesenden Autorinnen haben für ihre investigativen Reportagen bereits  zahlreiche Medienpreise gewonnen und internationale Auszeichnungen erhalten.

Unter der gelungenen, einfühlsamen Moderation von Barbara Heine berichtet Barbara Markert aus Paris über Gier und Manipulation der Modeindustrie samt ihren schmutzigen Folgen für den Planeten. Kerstin Zilm (USA) und Karen Naundorf (Argentinien) nehmen den Personenkult um die Präsidenten Donald Trump und Javier Milei unter die Lupe, die sich beide politisch und medial auch gerne mal als Pabst oder Kettensägen-Spezialist inszenieren. Nicht ohne ein gelegentliches Schmunzeln beleuchtet Almut Siefert vom Vatikan aus eine Weltreligion, die weltweit 1,4 Milliarden Menschen bewegt, wobei die Macht der Katholischen Kirche samt ihren Wirkungsmechanismen nicht unterschätzt werden sollte. Anke Richter (Christchurch/Neuseeland) schließlich warnt unter Verweis auf ihr Buch „Cult Trip“ vor dem weltweiten Missbrauch in spirituellen Gemeinschaften und zeigt damit wie anfällig Menschen jeglicher Couleur unabhängig vom Status für Manipulation sind, wenn glückselige Zustände versprochen werden.

Die Heuchelei von der nachhaltigen Mode

BARBARA MARKERT besucht seit 2003 alle großen Fashion Shows in Paris, einschließlich der Stoffmessen. Das bedeutet sechs Mal pro Jahr neun Tage nonstop Highheals tragen, Trends analysieren und dabei u.a. für Zeitschriften wie Glamour, Vogue und Schöner Wohnen einen Blick hinter die Kulissen der glamourösen Mode- und Beautywelt werfen. Die Nachhaltigkeit bleibt da deutlich auf der Strecke. Ihre Leidenschaft gilt dabei eher den Materialien, als den permanenten Schnitt- und Farbwechseln. Sie outet sich unabdingbar als Leinen-Befürworter, weil dies der einzige Naturstoff  bzw. die Faser sei, die fast ausschließlich in Mitteuropa (insbesondere den Niederlanden und Belgien) angebaut, verarbeitet und auch gewebt wird. Zudem verbrauche die Flachspflanze wenig Wasser und lauge den Boden nicht aus. Selbstverständlich trägt sie auch an diesem Abend ein zart geblümtes, gleicht transparentes Leinen-Caschuble mit langen Ärmeln, das ihr ausgezeichnet steht. Ich kann ihr nur zustimmen, sind Leinen und Seide doch auch meine bevorzugten Materialien für viele Lebenslagen.  

Als geradezu unerhörtes Beispiel führt sie die Legende vom „veganen Leder“ an. Schon der Begriff an sich sei bewußt manipulativ und irreleitend; aber anscheinend wolle die Welt geradezu betrogen werden. Leder ist ein klar definierter Begriff und besteht immer aus der Haut von Lebewesen. Stellt man die Hersteller hinsichtlich des Begriffs zur Rede, geben diese durchaus zu, daß das was man hier mache, nichts anderes sei, als 30-40% pflanzliches Pressmaterial mit einer dicken Synthetikschicht (meist Polyurethan) oben drauf zu versehen. Es lohne sich laut Markert also immer, genau auf das Etikett zu schauen, so weit dies noch möglich ist.

2007 war sie eine der Modeblog-Pionierinnen (www.modepilot.de) in Deutschland. Mit ihrem jüngsten Projekt möchte die Modeexpertin einen aktiven Part zur Umgestaltung der Branche in Richtung Kreislauf-Ökonomie leisten. Man müsse einfach weg von dem sich rasant drehenden Rad ständig neuer Kollektionen die suggerieren, daß man ohne deren Kauf nicht zeitgemäß gekleidet und somit  auch an anderer Stelle OUT sei

Schlimm, wenn das eigene Ego nur an einer Hülle hängt. Ich liebe es schon seit Jugendtagen selbst modische Trends zu setzen, wie z.B. einen langen und einen kurzen Blusenärmel zu tragen und vielmehr darauf zu achten, was an meinem Körper vorteilhaft aussieht. Meine Interpretation des Spruches: Kleider machen Leute.

An einer wahren Trendwende haben freilich weder die Luxusmarken, noch die Billigketten ein Interesse. Was bisher bleibt, sind immer neue Wortschöpfungen und Lippenbekenntnisse ohne wirksame Inhalte und Konsequenzen. Ein langwieriger Kampf gegen Windmühlen, was man Markerts Mimik manchmal auch sieht.

Was den Vatikan wirklich bewegt

Klick, das nächste Foto zeigt rote Edelslippers unter einem langen weißen Gewand hervorschauen. Der Übergang zur protestantischen Korrespondentin im Vatikan ergibt sich quasi von selbst und ALMUT SIEFERT ist sofort in ihrem Element. Die gebürtige Frankfurterin ist mit kleiner Unterbrechung seit 2016 vor Ort in Rom und berichtet von dort hauptsächlich über die italienische Politik und den Vatikan.

Man mag es kaum glauben, aber die Frage des Tages in Rom – insbesondere zu  Festtagen –  sei oft, was der Pabst an habe, woher seine Schuhe stammen usw. Sind bzw. waren die seinerzeit für Benedikt maßgefertigten roten Schuhe nun von Prada oder nicht? Prada bestätigte, die Kirche dementierte verhalten. Pabst Franziskus z.B. trug stets schwarze orthopädische Schuhe, der „neue Leo“ liege – nicht nur aus theologischer Sicht – sondern auch modisch, irgendwo dazwischen.

Die katholische Kirche sorge sich im Grunde wenig über den Rückgang ihrer „Schäfchen“ in Deutschland und Europa, da sie auf den anderen Kontinenten wachse. Die Anliegen von Deutschland wie Frauenstatus, Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren oder selbst die Kindesmißbrauchsfälle werden in Rom auf „kleiner Flamme gekocht“ und interessieren nur am Rande. Deutliche Worte einer Insiderin. Noch 2022 hatte Georg Bätzing versucht, die Rom-Reise der deutschen Bischöfe positiv darzustellen. Doch eine inzwischen veröffentlichte Rede zeigt, wie tief der Graben zwischen dem Vatikan und den Verfechtern des „Synodalen Weges“ wirklich ist.

Einen heißen Tipp hat Siefert noch für das laufende „Heilige Jahr“, das nur alle 25 Jahre stattfindet: Um dem größten Touristentrubel und langen Warteschlangen am Eingang zum Petersdom zu entgehen, sollte man spontan einfach eine Pilgergruppe gründen (gilt schon ab 2 Personen). In einer Seitenstraße nahe der Piazza Pia kann man sich aus einer Art Lager dafür ein großes Holzkreuz greifen und dies der Gruppe vorantragen. So erhalte man i.d.R. viel schneller Zutritt zur „Heiligen Pforte“, die ansonsten verschlossen ist. Unmittelbar danach kann man im Schnickschnack-Shop, genannt Info-Point, nicht nur das eigens für 2025 kreierte Plüschmaskottchen „Luce“ (eine Art Manga-Figur mit blauen Haaren und Pilgerstab) erwerben, sondern für 2.- Euro auch ein personalisiertes „Pilger-Diplom“ mit eingedrucktem Plastiksiegel. Diesen Hype hat sie selbst einmal ganz bewußt mitgemacht und stellt das besagte mehrsprachige grün-rot bedruckte Dokument zur Ansicht bereit.

Der Kommerz macht vor Niemanden halt und es rappelt mächtig im Klingelbeutel. Eine neue Form des Ablaßzettels? In der Pause kommen wir kurz auf das „Phänomen Schweizer Garde“ zu sprechen, aber schon geht es weiter ….

Politische Krisen und unsichere Zeiten als Katalysatoren für Sekten

Um spirituelle Abhängigkeiten geht es auch bei ANKE RICHTER (freiberufliche Auslandskorrespondentin in Neuseeland), die mittlerweile als eine der weltweitführenden Journalistinnen/ Autorinnen zum Thema „Sekten“ gilt. Das Problemfeld fiel ihr nach dem Erdbeben 2011 in Christchurch, dem Moschee-Anschlag 2019 und den Auswirkungen des Klimawandels im Südpazifik quasi vor die Füße, als sie nach Rückkehr von der Südseeinsel Tokelau selbst auf Sinnsuche war. Bis dato war sie Zeitschriftenautorin, Showbusiness- und TV-Reporterin  und hatte ihre Ausbildung in Los Angeles absolviert.

Richter berichtet u.a. von Vorgängen in einer Sexkommune in Neuseeland (getarnt als Therapiesekte), einer Yoga-Schule in Thailand, dem Oshos Ashram in Indien sowie einer fundamentalistischen christlichen Gemeinschaft und warnt im Zweifelsfall auch vor vermeintlich unverfänglichen Tantra-Seminaren. Sie hat in mehreren Sekten über deren Strukturen und Dynamiken recherchiert und so auch persönliche Erfahrungen mit spirituellen Bewegungen gesammelt. Ihr gelang es über Jahre hinweg immer wieder mit einzelnen Mitgliedern zu sprechen und sie kann bis heute kaum nachvollziehen, wie die Betroffenen sich missliche Umstände wie sexuelle Ausbeutung (teils unter Drogeneinfluß), Gewalt gegenüber Kindern oder billige Sklavenarbeit schönreden oder in kritischen Momenten einfach wegsehen. Besonders Frauen und Kinder seien davon betroffen, aber anfällig sei grundsätzlich jeder. Schließlich werde Wohlbefinden und Erfolg versprochen.

Sie betont, daß sich solche problematischen Strukturen überall in Gruppen und Organisationen entwickeln können. Gerade dort, wo man idealistisch ist und kritiklos glaubt: Bei uns doch nicht, wir sind doch die Guten, weil wir Ideale haben und für das Thema XY stehen. Was mit Schwärmen für einen charismatischen Anführer beginnt, führt schnell zur Selbstaufgabe zugunsten der Gruppe oder Nötigung zu einem freizügigen Lebensstil ohne Monogamie. Naiv zu glauben, daß hinter frommen Fassaden, kein Mißbrauch vorkomme.

Buch von Anke Richter: Cult Trip (Cover)Achtung: Richter verwendet den Begriff CULT gerne doppeldeutig. Dabei steht das “C“ für Control (Kontrolle, Zwang), „U“ für Unity (Zusammenhalt für ein Gemeinschaftsziel und Gruppenschutz),“ L“ für Love (übermäßig schmeichelnde Liebe, die nur Mitgliedern zuteil wird) und „T“ für Transformation bzw. Hoffnung auf Veränderung/ Verbesserung.

Vereinsamung, Sehnsucht nach Kontakt, Hilfe in schwierigen Zeiten und die Suche nach Halt in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten sind die häufigsten Auslöser.

„Daher beschränken sich die geschilderten Probleme keineswegs auf irgendwelche Sekten da draußen, mit denen man höchstens dann zu tun hat, wenn die Zeugen Jehovas an der Tür klingeln. Die Zeugen Jehovas sind übrigens ein gutes Beispiel für Kontrolle, denn den Mitgliedern dieser strengen Religionsgemeinschaft ist es nicht erlaubt, persönlichen Kontakt mit Aussteigern zu halten“ so Richter.

Ihrer Auffassung nach beginnt die allzu überschwängliche „Umarmung“ – abgesehen von überteuerten Seminar- und Mitgliedsbeiträgen – immer schon dann fragwürdig zu werden, wenn man alle Aussagen und Regeln unreflektiert hinnehme; unabdingbar Feuer und Flamme an den Lippen des doch so charismatischen „Anführers“ hänge. Nein, Richter ist nicht davon besessen, andere von ihren Erfahrungen mit alternativen Lebensformen und „Therapien“ abzuhalten. Man sieht es ihrem Gesicht an: sie ist echt besorgt über die Auswüchse, die es haben kann sowie die Zunahme und den Zulauf zu solchen Heilsgruppen. Mit all dem Wissen rief sie mit DECULT kürzlich die erste Sektenaufklärungskonferenz in Neuseeland ins Leben. Wie sieht es eigentlich bei uns damit aus?

Sozio-politische Nahaufnahmen aus den USA und Argentinien, die zu denken geben

Noch nachdenklicher gerät der „Doppel-Talk“ mit KAREN NAUNDFORF (Buenos Aires) und KERSTIN ZILM (Los Angeles). ZILM liebt Geschichten abseits der ausgetreten Pfade. Einst berichtete sie von Oscar-Verleihungen und Partynächten, heute ist ihr angesichts der kalifornischen Protestwellen gegen Trump und seines Vorgehens dagegen nicht mehr zum Lachen zu Mute. Insbesondere ist es für sie nur schwer nachvollziehbar, wie andere Nationen über diese Entwicklung bisher weitgehend hinwegsehen.

Vier Jahre lang habe ich für den American Army & Air Force Exchange Service (AAFES) als Personalmanager gearbeitet und weiß, daß Amis anders ticken, als wir es wahr haben wollen. Schon das Wahlsystem spricht für sich. Alle – nicht nur Trump – haben zudem ein sehr zentriertes Weltbild. Slowakei und Slowenien sind da schnell ein Land, der Irrtum ihnen völlig egal. Lange Zeit gab es sogar Weltkarten, auf denen die USA/ Amerika in der Mitte und nicht am linken Bildrand abgebildet war.

Groß nachzudenken ist nicht das Ding von „Great America“, die Masse handelt lieber spontan. Einerseits lieben sie ihre Freiheit und Traditionen, andererseits sind sie an geringere Sozialstandards und mindere Schutzmechanismen gewöhnt. Will man seinen Job behalten, kommen Kritik am Chef und eine gegenteilige Meinung meist ganz schlecht. Wenn dieser eine weiße Deckenwand als Blau bezeichnet, stimmt man ihm darin am besten zu: yes, what a nice blue ceiling“. Ich habe das immer als „Gehirn an der Garderobe abgeben“ bezeichnet.

Bislang schaut die westliche Welt – bewußt (?) oder unbewußt – bevorzugt auf Ping, Putin und Nahost und rügt in Nadelstreifen aus klimatisierten Räumen heraus deren Völkerrechtsverletzungen, etc. Die aktuellen Geschehnisse in den USA werden bislang einzig als „holprige Wirtschaftsbeziehungen“ bzw. ein Zollproblem bezeichnet, aber ist dies wirklich so? Die Amis bejubeln ihre Präsidenten gerne, aber es könnte dieses Mal anders kommen. Ist Trump gerade dabei die Kontrolle zu verlieren und den Bogen zu überspannen? Das ist kein internes „Watergate“ oder eine „Lewinski-Affäre“, hier droht ein internationales „Säbelrasseln“ wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Und Machthaber in anderen Ländern nehmen sich dieses Konsequenz lose Gehabe nur zu gerne als Vorbild und nutzen die  Gelegenheit unbeliebte Nebenbuhler loszuwerden. Plötzlich ist jeder Protestler ein Terrorist und kritische Berichterstatter landen auf der roten Liste, d.h. innerhalb von 24 Stunden kann man seine Aufenthalts- und Dreherlaubnis verlieren.

Zilm weiß nur zu gut, unter welchen Auflagen im Weißen Haus überhaupt Aufnahmen gemacht und Interviews geführt werden dürfen. Da ist der Präsident nicht nur von seinem Hofstaat umgeben, da sind auch bestimmte Abstände und Brennweiten einzuhalten. Auf einem Tischchen vor dem „Audienzraum“ liegen manchmal auch Gadgets wie Baseballkappen oder Shirts, mit denen sich die Reporter und Gäste „schmücken“ sollen oder sollte man sagen, als Andenken an den großen Tag empfangen worden zu sein?

Was Zilm aber vielmehr umtreibt, sind zunehmend Nachrichten über das Verschwinden von Personen nach Razzien der Einwanderungsbehörden. Mal ist da plötzlich der „Latino-Bäcker“, mal der „afro-karibische Schuster“ (mangels gültigen Papieren?) nicht mehr da, sind ihre Mini-Läden geschlossen. Manche bleiben verschwunden, von anderen weiß man, daß sie in mittelamerikanische Länder „deportiert“ wurden und dort nun festsitzen. Auch eine Richterin soll kurzfristig aus dem Amt entfernt worden sein, weil sie nicht gewillt war, 113 festgenommene Demonstranten ohne Festnahmebegründung in U-Haft zu halten.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne

Auch Trumps Faible zu Kettensägen (in Folge von Elon Musks politischem Intermezzo) wurde nachgegangen und KAREN NAUNDORF hat den Einzelhändler in seinem Laden in Buenos Aires besucht. Einige seiner Gerätschaften sind glitzernde Spezialanfertigungen, reich mit Symbolik verziert und materiell veredelt. In seinem Laden hat Mariano di Tella alle Größen im Angebot. Ein ganz besonderes Exemplar ist mit „Presidencial“ graviert und trägt auf der Klinge die Aufschrift „Las fuerzas del cielo“/ Mit den Kräften des Himmels. Wer das neue „Zepter der Macht“ schwingt, hat also auch Gott auf seiner Seite? Die Kettensäge steht nicht nur für Kraft und Kahlschlag in kürzester Zeit, sie wird scheinbar mehr und mehr zum Lieblingssymbol von Autokraten. Ein besonders schönes Exemplar als Geschenk von Milei an Trump sei bereits unterwegs. Di Tella ist glücklich darüber und natürlich hat er Milei gewählt, um ihn in seinen Bemühungen, die argentinische Wirtschaft nach zwei Jahrzehnten des Niedergangs wieder in Schwung zu bringen zu unterstützen.

Um welchen Preis weiß Naundorf als langjährige Journalistin nur zu gut. Die großgewachsene taffe Frau mit dem Undercut, wird den Vortrag mit Tränen in den Augen beenden. Und das nicht, weil sie und ihr Kameramann auf Demos von Motorädern zu Fall gebracht oder in anderer Form bedrängt werden, sondern weil Oppositionelle bis ins Privatleben hinein ausgegrenzt werden. Die Frau eines Kollegen erhielt so einfach ihre Krebsmedikamente nicht mehr und verstarb innerhalb kürzester Zeit.

Ich selbst war in ruhigeren Zeiten zweimal in Argentinien, einmal bis in den Südzipfel von Feuerland. Ich liebe den Latino-Italo-Mix von Buenos Aires und seine lebhafte Kulturszene, bin aber auch über die wiederkehrenden wirtschaftlichen (Extreminflation) und politischen Probleme seit Peron, Allende & Co informiert. Auch kenne ich anderweitige autokratische Machtstrukturen aus meiner Zeit, als ich 1995/ 96 in Mexiko gelebt und gearbeitet habe. Will man dort Erfolg haben, ist es ebenfalls unabdingbar sich zur Partei des Präsidenten zu bekennen und bei Bedarf in aller Form zu Diensten zu sein.

Wenn „AnarchokapitalistJavier Milei redet, dann meist wortgewaltig und alles scheint legitim. Sein persönliches Feindbild scheint neben dem Feminismus die Presse zu sein. Wenn er über sie spricht, gerät er in Rage und Demagogie – die Medien als Südenböcke? Die um ihn versammelte Menge jubelt und springt dann auch direkt auf solche Inhalte an; droht anwesenden Reportern gerne mit den Fäusten und drängt sie ins Abseits. Für Naundorf steht Milei nun am Scheideweg: „Es wird sich nun zeigen, ob Milei politische Allianzen suchen wird oder ob sich autoritäre Tendenzen verfestigen“. Argentinien hat Übung in der Eliminierung von Ungehorsamen (Todesflüge der Vergangenheit), was Milei allerdings weitgehend leugnet. Gemeint ist der Zeitraum von 1976 bis 1983 zu Zeiten der Militärjunta unter de-facto Präsident Videla.

Wie erzählen uns Journalisten die Wahrheit?

Fazit: Die Wortwahl wird immer vorsichtiger und bedachter; Vieles wird aus Angst vor Repressalien – teils auch in Europa – nur noch hinter vorgehaltener Hand gesagt. Deshalb war es um so wichtiger, hier im Sinn/ Salon dabei gewesen zu sein und die Eindrücke weiter zu tragen.

Als Moderatorin hatte Barbara Heine schon viele bekannte Namen zu Gast, wie Kent Nagano, Ulrich Tukur, Wolf Biermann und Feridun Zaimoglu. Ihr Veranstaltungsformat Sinn/Salon bietet „Raum für Gespräche und Austausch über Veränderung, Orientierung und Neuanfänge, mit Menschen, die ungewöhnliche Wege gehen“ und Interesse an Geschichten haben, die hinter den Nachrichten stehen.

Sinngemäß formuliert sie ihr Credo mit den Worten: Ein Ereignis ist nur dann wirklich eines, wenn es als Erlebnis Kopf und Herz berührt … es neue Gedanken, sprich eine bleibende Erinnerung und einen überraschenden Anstoß schafft … es muß also einiges Zusammenkommen, damit ein Ereignis – sei es im klassischen Forum oder den Neunen Medien – der Rede wert ist und für Aufmerksamkeit sorgt.

Treffender kann man es nicht definieren – das perfekte Schlußwort für diese ereignisreiche, inspirierende Veranstaltung.

 

Fotos: PFritz, Heinekomm, Instagram Ankerichterwriter
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