„Alles gut?!“ begrüßt mich der Kellner auch am 4. Morgen wieder zum Frühstück. What?! Müsste es in einem Hotel nicht „Einen wunderschönen Guten Morgen“ heißen, oder? Dass wir unsere schöne Sprache so verkommen lassen und verunglimpfen ist bekannt, aber diese Nichtfrage in Erwartung der geübten Nichtantwort schon zum Frühstück?! Ne, geht gar nicht. Am 4. Morgen hatte ich es so richtig satt und es platze aus mir heraus: „Nein, bei mir ist nicht alles gut, bei Ihnen etwa?!“ Ich hasse es nämlich, wenn Menschen mir mit solchen Floskeln auf die Nerven gehen. Augenblicklich fühlte ich mich wohler und schaute in sein einigermaßen verdutztes Gesicht. Er murmelte etwas Unverständliches und wandte sich blitzschnell ab, um der misslichen Situation zu entkommen.

Dabei klebt dieser >Alles-gut-Quatsch< seit Jahren in deutschen Mündern wie Protesenkleber. Ein Sprachschaden, der sich reingebissen hat, wie eine Zecke ins Fleisch und sich irgendwie durch alle Schichten zieht wie Kaugummi. Die Floskel für alle und für jede Gelegenheit. Eine Botschaft, die nichts sagt und trotzdem x-fach gesagt wird; egal ob Postbote, Chefsekretariat und jetzt auch im Hotel. Ich fasse es nicht. Denn:

Natürlich ist nicht alles gut. Auf dieser unserer Welt tatsächlich gerade nicht ganz so viel. Daher haben wir sie, unsere Bubbles, und in denen ist für Manche einfach immer alles toll.

Im Urlaub ist IMMER alles super, die haben IMMER super Wetter (auch wenn‘s schüttet), das Essen ist IMMER fantastisch (weil ausgerechnet sie den besten Italiener am Platz gefunden haben und der Chef sie dort jeden Abend persönlich bedient hat), der Strand ist IMMER perfekt und das Hotel – wie kann es anders sein – einfach IMMER ein Geheimtipp (weil deren Reisebüro grundsätzlich nur solche Kracher parat hat). Aber es ist natürlich nicht nur im Urlaub alles super, auch im Rest vom Leben werden die Mega-Erfolge aufgezählt und gefeiert; klar, wenn der zweite Vorname „Perfektion“ ist.  Im Job voll durchgestartet, Kohle ohne Ende, die Kiddies wahre Helden – Ehe und Familie ein echtes Träumchen. Und wenn dann trotzdem mal ein Stein ins Traumleben fällt, dann ist selbstverständlich gleich der beste Arzt ever auf dem Plan, der alles richtet. Kein Wunder, wenn der beste Freund den ganz schnell ausgegrabenen Dr. Oberguru auf seinem Privat-Handy für die SOS Hilfe angesimst hat.

Alles gut?!

Puh, das nervt. Im ersten Moment kommt man sich irgendwie ziemlich miesepetrig und klein vor. Der Vergleich zum eigenen Leben macht schlechte Laune, wenn man nicht schnell genug mit auf den Höhenflug aufsteigt und die immer-alles-gut-Nummer mitspielt. Kann ich zwar, will ich aber gar nicht. Ich will Menschen um mich herum, die einfach echt sind, die mir ihr wahres Gesicht zeigen und von den Höhen genauso erzählen können wie von den Tiefen. Im besten Fall mit einem sonnigen Gemüt, einem empathischen Wesen und einem positiven Geist, mit dem man den echten Spaß haben kann. In Sweatshirt und Pantoffeln einfach zusammen sein und sich die Wahrheit erzählen. Lachen. Vielleicht auch weinen.

Oder gibt es tatsächlich jemanden, bei dem immer alles gut ist? Ich glaube das nicht. Ich glaube viel eher, dass sich eben genau jene, die nach außen hin das Gefühl vermitteln, dass bei Ihnen die Sonne sogar aus dem Hintern scheint, ziemlich minderwertig fühlen und sich dem zwanghaften Gefühl unterwerfen, etwas Tolles darstellen zu müssen. Anderenfalls könnte man Ihnen ja draufkommen, dass sie dann und wann auch mal schwach sind.

Ich schätze, der Wind, der hinter ihren Vorzeigegardinen weht, ist genau der gleiche, wie in meiner Bude mit Standard-Gardinen und ehrlich gesagt könnte ich mir durchaus vorstellen, dass es hinter dem Edel-Stöffchen manchmal ganz schön zieht. Jedenfalls beruhigt mich die Überlegung.

Fazit: „Alles gut?!“ist genau genommen total absurd, weil kein Mensch wirklich eine Antwort darauf haben will. Jedenfalls keine, die inhaltlich auf eine Erwiderung der eigenen Verfassung abstellt. Sie ist der „schöne Schein“ hinter der 6 in Mathe, das Heile-Welt-Pflästerchen; vielleicht auch Verhinderungsstrategie für inhaltlichen Austausch.

In Amerika sagt man >How are you<; also >Wie bist du<. Na dann ist ja alles gut 😊


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