Was gibt es doch für schöne Sommertheater-Spielstätten. Man denke nur an die Seebühnen in Bregenz (Bodensee), Mörbisch (Neusiedlersee) oder Torre del Lago, Puccinis Sommerresidenz. Wieder andere haben ihr Programm aufgrund der restriktiven Corona-Maßnahmen inzwischen auf das Dach eines Parkdecks oder des Opernhauses (Berlin) gelegt; Beethoven kommt auch dort gut an.
Und dann gibt es das HECKENTHEATER im königlichen Potsdam gleich neben dem Neuen Palais im Park von Sanssouci. Schon immer boten herrschaftliche Gärten eine würdige Kulisse für die Kunst. „Hecke“ steht dabei keineswegs für Provinz oder Laienspiel, denn kein Geringerer als der musikbegeisterte Friedrich der Große lies diese Anlage mit der besagten Pflanzanordnung (analog den seitlichen Bühnenzugängen) und unterschiedlichen Ebenen bereits 1765 anlegen. Über die Jahrhunderte und einige politischen Wirren war die traditionsreiche Anlage jedoch in Vergessenheit geraten; erst mit Unterstützung der „Freunde preußischer Schlösser und Gärten“ konnte sie 2009 bzw. 2012 jedoch wieder erfolgreich zum Leben erweckt werden.
Musik und Literatur in der unmittelbaren Natur zu erleben, bietet Schauspielern und Zuschauern immer neue Perspektiven und hält auch schon mal so manche Überraschung parat.
Das Freie Theater „Poetenpack“, das seit zwei Jahrzehnten mit professionellen Künstlern*innen im Sommer regelmäßig im Heckentheater gastiert, wartet dieses Jahr gleich mit vier Inszenierungen auf. Gerade in Pandemiezeiten bietet die freie Natur doch die besten Möglichkeiten die Kultur wieder zu beleben.
Los ging’s am 30.06. mit Goldoni’s Komödie „Ab in die Sommerfrische“, einer zweieinhalb Stunden Inszenierung mit insgesamt 14 Vorstellungen. Desweiteren steht an zwei Abenden im Laufe des Juli „Der eingebildete Kranke“ von Moliere auf dem Programm, sowie „Eine Mittsommernachts-Sexkomödie“ von Woody Allen und „Das Spiel von Liebe und Zufall“ (de Marivaux). Karten sind direkt unter: www.theater-poetenpack.de oder an den bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich.
Ab in die Sommerfrische! Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Aber worum geht es? Das kleine Programmheftchen fasst den Inhalt sehr treffend zusammenfassen:
Adel verpflichtet, auch wenn es auf Pump ist. Seit der Venezianer Carlo Goldoni vor 250 Jahren in seiner Komödientrilogie die Sommerfrische der besseren Gesellschaft aufs Korn nahm, haben sich zwar die Kostüme verändert, die Parallelen zu unserem heutigen Leben samt seinen menschlichen Abgründen sind jedoch unverkennbar. Wie z.B. Reisen als Statussymbol oder mehr Schein als Sein. Ungeniert wird ein neues Kleid bestellt, das Schneiderlein kann ja auf sein Geld warten. Dafür zu arbeiten wäre eine Schande und sozialer Abstieg.
Im Stück treiben zwei alteingesessene Familien sich und ihren Anhang in hysterische Hektik und so in den Bankrott, nur um standesgemäß ihren Urlaub antreten zu können. Am Luxusdomizil angekommen erwartet die Gesellschaft in sonniger Hitze die Tristesse jährlich wiederkehrender Rituale. Standeszwänge, Liebesgeplänkel und Intrigen wollen nicht enden, bis das letzte Herz vergeben, der letzte Ehevertrag unterzeichnet und der letzte Schuldschein unterschrieben sind. Dann heißt es: Ab nach Hause und auslöffeln, was man sich in der Sommerfrische eingebrockt hat! Auch 250 Jahre nach der Uraufführung hat die Trilogie das Zeug dazu, unserer Gegenwart den Spiegel vorzuhalten.
Carlo Goldoni, 1707 in Venedig geboren, schrieb die „Trilogi della villeggiatura“ 1761; er starb 1793 in Paris. https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Goldoni
Ich durfte bereits bei der Vorpremiere am 29.06. dabei sein und habe jede Minute genossen. Vorallem, daß ich vor Beginn auch mal einen Blick Backstage bzw. in die Seitenhecken werfen durfte. Da wird noch an der Perücke gezupft, ein Zigarettchen geraucht oder der Text noch einmal durchgegangen. Von Lampenfieber kaum eine Spur, aber die übliche konzentrierte Premierenstimmung. Wo Künstler sind, ist der Aberglaube nicht weit. Das Poetenpack bittet z.B. darum, bei der heutigen Abschlußprobe – unabhängig vom Verlauf – lieber nicht zu klatschen. Hmm, …
Auch wenn der Abend von einem kräftigen Gewitterguß unterbrochen wurde, zeigten die Darsteller bis zur letzten Szene ihre Spielfreude und agierten bis in die letzte Reihe mit Witz und Energie sowie überzeugender Gestik, Mimik und Sprache. Kein Wunder, daß die Premiere am Folgeabend bereits ausverkauft war.
Ich kann als durchschnittlicher Theaterkenner nur sagen: Julia Borgmeier (Giacinta), Gislén Engelmann (Sabina), Reiner Gabriel (Ferdinando), Anatol Käbisch (Guglielmo), André Kudella (Filippo), Georg Peetz (Paolo), Stephan Schill (Leonardo), Clara Schoeller (Vittoria), Andrea Seitz (Sabina) harmonieren unter der Regie von Kai O. Schubert hervorragend. Trotz reduzierter Bühnendekoration gelingt es der Truppe das Publikum unmittelbar in das Geschehen eintauchen zu lassen. Es macht einfach Spaß und gute Laune zuzusehen. Die Zeit vergeht wie im Flug.
Natürlich steht hinter allen erfolgreichen Bühnenakteuren auch ein kompetentes Mitarbeiterteam, das sich um Ton, Technik, Kostüme, Dramaturgie, Bühnenbild/Ausstattung, Marketing und vieles mehr kümmert, und ohne das eine perfekte Inszenierung nicht möglich wäre. Bei jeder Veranstaltung steht für die Gäste auch ein kleiner Bistrowagen mit diversen Erfrischungen bereit. Selbstverständlich ist die Bestuhlung den Abstandsregeln angepaßt, d.h. es stehen bis auf Weiteres zirka ein Drittel der ursprünglich 200 Sitzplätze zur Verfügung – Kissen inklusive.
Leichter Regen bringt die Profis jedenfalls nicht aus dem Konzept; und wird die Bühne mal zu rutschig, fliegen auch mal spontan ein paar Schuhe in die Hecke und es geht nahtlos weiter. Das ist souveränes Auftreten. BRAVO! Also noch im Juli ab in’s Heckentheater …
Hinweis: persönliche Empfehlung. Fotos: Marcus Lieberenz/ P. Fritz