Leicht müssen sie sein und vor Sonne schützen. Der berühmteste unter ihnen dürfte wohl der „Panama-Hut“ sein, der bis heute für seinen ursprünglichen Stil und vor allem Handwerkskunst vom Feisten steht. Ein echtes handgeflochtenes Modell ist daher  nicht unter EURO 200.- zu bekommen. Ohne das inwendige (bei Hitze sehr sinnvolle) Baumwollband im Stirnbereich und die minimal sichtbaren Flechtansätze in der Webstruktur sollte es sich um ein Plagiat handeln. Er ist fast ausschließlich weiß und läßt sich beliebig zusammenrollen ohne später die Form zu verlieren. https://de.wikipedia.org/wiki/Panama-Hut   

Auch in den hintersten europäischen Winkeln – wie zum Beispiel im Tessin – ist die Strohflechterei noch heute anzutreffen, d.h. aus dem Stroh und anderen natürlichen Rohstoffen werden Gegenstände wie Hüte, Kappen, Taschen, Tressen oder Hutschmuck hergestellt. Das Stroh stammt in der Regel vom Sommerweizen oder Sommerroggen. Es wird gespalten, geflochten, gebleicht und schließlich geplättet. Vor allem ist Stroh regenerativ und nachhaltig.

Aber wie sieht die Herstellung genau aus und wie fühlt sich Strohflechten an? Um Näheres darüber zu erfahren, treffe ich mich mit Nina Gautschi von der PAGLIARTE-Vereinigung in BERZONA (oberhalb von Loco gelegen). Allein der Weg dort hin und das nicht einmal 200 Einwohner zählende am Hang klebende Dörfchen ist atemberaubend. Nina sitzt bei meinem Eintreffen vor einigen Materialkisten und Wasserschüsseln unter einem riesigen Kastanienbaum und strahlt mir schon entgegen. Wir kommen schnell in’s Gespräch und eine Information folgt der anderen.

Wurde das Handwerk ursprünglich weitgehend in Heimarbeit von der ländlichen Bevölkerung betrieben, so entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einigen landwirtschaftlich geprägten Regionen Europas daraus ein blühender Industriezweig, der sich vor allem auf die Produktion von Strohhüten konzentrierte und teilweise bis in die 1970er Jahre Bestand hatte. Zentren der Strohverarbeitung waren in England, der Toskana, in Venetien und der Lombardei in Italien, aber auch in Niedersachsen, dem Schwarzwald und dem Allgäu. Die größte Bedeutung hatte die Strohindustrie jedoch in der Schweiz, insbesondere in der Region Wohlen im Südosten des Kantons Aargau. Die Bauern schnitten die Halme kurz vor der Reife mit Sichel und Sense und legten sie bei guter Witterung auf dem Feld zum Trocknen aus (bei schlechtem Wetter hängten sie die Halmbüschel in der Scheune auf). Die getrockneten Halme wurden von Blättern und Blattscheiden befreit und teils mit Schwefel gebleicht. Anschließend schnitt man die Halmspitzen bis zum ersten Knoten ab und sortierte die Halme nach ihrer Dicke. Dies geschah mittels eines Halmensiebes, einer Holzkonstruktion mit verschiedenen Lochgrößen. Die Bauern verkauften die vorsortierten Strohhalme dann an einen sog. Fergger (Zwischenhändler), der von Hof zu Hof zog.

Erst ab dem 19. Jahrhunderts setzte sich die (halb-)maschinelle Weiterverarbeitung in Fabrikbetrieben durch. Mit einem Halmenreißer wurden die Strohhalme der Länge nach aufgeschlitzt und flachgedrückt, danach säuberte man mit dem Halmenschaber die Innenseite vom Mark. Die angefeuchteten oder eingefetteten Halme wurden anschließend in einer Halmreibe (Holzwalze mit Kurbel und Pressbalken) hin- und hergezogen, um sie zu glätten und geschmeidiger zu machen. Mit einem Halmenreißer konnten auch schmale Strohstreifen gerissen werden und in einem Zwirnprozess zu feinen Schnürchen verarbeitet werden. Diese dienten als Ausgangsmaterial für Dekorationen. Gespaltene und ausgewalzte Strohstreifen wurden auch auf Japanpapier und Baumwollgewebe geklebt, aus den so entstandenen Strohplatten konnten mit entsprechenden Apparaten verschiedene Tier- und Pflanzenmotive gestanzt oder gepresst werden. Auch war es möglich, aus Strohschnürchen netzartige Geflechte herzustellen, die mit Motiven und Ornamenten bestickt wurden. Die Einführung modifizierter Jacquard-Webstühle zur Weiterverarbeitung der Strohhalme führte um 1830 zur Ablösung des bisherigen Systems. Das Fabriksystem setzte sich rund zehn Jahre später mit dem Einsatz von Flechtmaschinen endgültig durch. Zusammen mit Baumwolle, Hanf, Roßhaar, Bast oder Seide kamen insbesondere bei der Hutproduktion neue Möglichkeiten der Hutgestaltung zum Einsatz. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen auch halbsynthetische Materialien wie z. B. Cellophan, Manilahanf oder Viskose hinzu. (Recherche/ siehe Auszug aus Wikipedia).

Nina zeigt mir in dem kleinen Verkaufsatelier u.a. ein dickes Musterbuch, in dem vom Dreier, Vierer, Fünfer, Sechser und Siebener Flechtstrang (eine Art Fischgrätmuster) bis hin zu kompliziertesten Flecht-/ Webmustern alles vertreten ist – ein wahres Schatz-„Büchlein“ von mindestens fünf Kilogramm; und alles fein säuberlich nummeriert.

Und schließlich mache auch ich mich an’s Flechtwerk. Dabei ist es unabdingbar die Halme erst einmal gut zu wässern, um sie geschmeidiger zu machen und beim Kreuzen und Drehen ein permanentes Brechen zu vermeiden. Gar nicht so einfach, aber irgendwann hat man den Bogen – zumindest was das Bandflechten betrifft – raus. Ungeübt kann das Reiben der Strohfäden (im Gegensatz zu Bast aus i.d.R. weicheren Sisalfasern) an den Fingern auf die Dauer zu wunden Stellen bzw. Hornhaut führen. Der Farbwahl und Kreativität sind dabei jedoch keine Grenzen gesetzt. Hat man genügend Meter Flechtband produziert, folgt dann das Zusammennähen zum gewünschten Objekt: sei es ein Platzdeckchen, eine Windspiel-Girlande, ein Gürtel, ein Becher, eine Obstschale, Halsschmuck, Armbänder  etc. Echte Profis flechten sogar einen ganzen Hut an einem Stück; da muß auch Nina passen. Ich entscheide mich spontan für einen pfiffigen Faszinator. Und da Anfang August gerade Filmfestival in Locarno ist, wird sogar eine echte Filmrolle in das Objekt integriert.

Die kleine Kooperative bzw. Berzona sind immer einen Besuch wert (ggf. bitte vorher über Öffnungszeiten informieren). Unweit davon wird dank „Meister Illario“ auch noch das sog. „Farina Buona“ hergestellt. Sie möchten wissen, was man darunter versteht? Dann setzen Sie die Dörfchen des Onsernone-Tales doch einfach mal auf Ihre nächste Reiseroute. Irgendwo plätschert ein Bach, aus der kleinen Osteria dringen fröhliche Stimmen … alles wie aus der Zeit gefallen. Im Sommer ist es hier oben angenehm kühler als am Lago Maggiore. Ich mochte plötzlich gar nicht mehr weiter und habe noch lange bei einem guten Glas geplaudert, aus dem Halbschatten in die Sonne gelinst und über meine nächste Hutkreation sinniert. 

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