Fronleichnam war mal wieder Sandbahnrenntag. Höhepunkt war der Sonderlauf der besten internationalen Solisten um den „Goldenen Römer“, der vom Niederländer Romano Hummel vor Andrew Appelton (GB) und Daniel Spiller gewonnen wurde. Tagessieger wurde ebenfalls Ex-Weltmeister Romano Hummel vor seinem Landsmann Dave Meijerink und dem deutschen Lukas Fienhage. Bei den Gespann-Duos gewannen Markus Venus mit Markus Eibel.
Sowohl mit Hummel, also auch Venus/ Eibel konnte ich im Vorfeld zum Geschehen sprechen.
Offen für Neues sein und Regionalität pflegen. Warum dann also nicht mal eine Veranstaltung besuchen, die dieses Jahr bereits zum 69. Mal stattfindet und internationale Strahlkraft hat. Schließlich trifft man hier u. a. auf Welt- und Europameister und die 700 Meter-Bahn hat eine besondere ungleiche Eiform. Schon seit Kindertagen ist mir das „Altriper ADAC Sandbahnrennen“ ein Begriff. Nicht zuletzt deshalb, weil ich mich an endlose Autoschlangen und einen nicht unerheblichen Lärmpegel im Umfeld des Veranstaltungsortes erinnere.
Nachdem ich schon beim Motocross Eisspeedway in Inzell, einem Tourenwagenrennen in Monza und an der Strecke der Mille Miglia war sowie ein Schotterpistenrennen im Flußbett des Tagliamento (unweit Udine) hautnah miterlebt habe, stand nun der Besuch eines Sandbahnrennens auf meiner „To-Do-Liste“. Das Kurvendriften auf Sand stelle ich mir so ähnlich vor, wie beim Eiskartfahren, was mir zwei Experten vor Ort in späteren Gesprächen auch bestätigten. Wenn man das rechtzeitige Gegensteuern in der Kurve erst einmal raus hat, ist das ein Heidenspaß. Wenn nicht, erfolgt ein gnadenloser Dreher und man hat das Nachsehen.
Gebaut wurde die Altriper Bahn bereits 1958. Im Juli 1995 erlebten 10.000 Motorradfans die „German Bike Week“, wobei der motorisierte Drahtseil-Artist Charly Wittmann und der Bungee-Springer Jürgen Meyer, der sich ein einem 60 Meter hohen Kran in die Tiefe fallen ließ, für die Höhepunkte sorgten. Die Pappel umsäumte Rennstrecke diente auch schon wiederholt für Fernsehfilmaufnahmen.
Da es sich typischerweise um eine Freiluftarena handelt, weiß man nie, ob einem Staubfahnen oder Schlammspritzer entgegenschlagen. Schließlich bot das Fronleichnam-Wetter dieses Jahr so ziemlich alles: von sintflutartigen Regenfällen bis zu strahlendem Sonnenschein. So konnten die zahlreichen begeisterten Zuschauer auf der gepflegten und sehr gut präparierten Bahn dieses Jahr alles gleichzeitig erleben. Ganz unumstritten sind solche Veranstaltungen freilich nicht. Erst vor zwei Jahren war bei einem Rennen in Herxheim ein Beifahrer tragisch ums Leben gekommen. Aber brav sein kann man ja auch an einem anderen Tag; ein Sandbahnrennen ist nun mal das Gegenteil von „Waldbaden“. Die Topfahrer sind im Rundenmittel schon mal um die 100 Stundenkilometer schnell.
Fakten zum Sandbahnrennsport
Es gibt Langbahnen bis zu 1000 Meter Rundenlänge und Kurzbahnen. Auf Langbahnen werden hauptsächlich nationale Meisterschaften ausgefahren. Speedway ist international und wird i.d.R. auf Kurzbahnen mit Rundenlängen um die 400 bis 600 m ausgetragen. Speedway-Maschinen haben nur einen Gang, Langbahnmaschinen hingegen zwei und sind entsprechend schneller. Auch Gespannfahren mit lenkbarem Seitenwagen ist eine Disziplin und vor allem: es gibt auch eine Juniorenklasse.
Bereits vor vier Wochen war die Weltelite der Sandbahnfahrer im Herxheimer Waldstadion zu Gast, wo damit das Finale 1 zur Langbahn-Weltmeisterschaft 2024 gestartet wurde. 15 Fahrer aus sieben Nationen kämpften auf dem 963 m langen Oval um die ersten WM-Punkte der Saison. Darunter der amtierende Weltmeister Martin Smolinski (Olching) sowie Josef Franc (CZ), Zach Wajiknecht (GB) und der deutsche Starter Lukas Fienhage.
Hinter den Kulissen
Was mich bei jeder Sportart besonders interessiert, ist das Training und der Besuch hinter den Kulissen – hier das Fahrerlager. Da die Wetterkapriolen den Zeitplan etwas durcheinander gewürfelt hatten, treffe ich erst während des laufenden Wettkampfes mit einigen Akteuren zusammen.
Wie ticken Motorsportler, ihre Helfer und das Publikum? Ist es die Liebe zur Technik, das Rumschrauben und Tunen an den Rennmaschinen, der Sound oder die Geschwindigkeit? Jedenfalls pilgern jährlich zehntausende Besucher an die Sandbahnpisten in ganz Deutschland.
Beim Rundgang stechen neben Rahmengestellen von Jawa, viele Eigenbauten in’s Auge. Bei den Motoren kommen bekannte Namen wie Kawasaki, Yamaha oder Honda in’s Spiel.
Vor allem treffe ich nach wenigen Metern auf einen Elf- und einen Zwölfjährigen aus Niedersachsen, die wie zwei „alte Hasen“ vor einem Wohnmobil mit ihren Eltern sitzen. Obwohl noch ein weiteres Rennen ansteht, von Aufregung keine Spur. Nein, die Eltern würden sie nicht antreiben, sie einzig bei ihrem Lieblingssport unterstützen. Beide Mütter und Väter wissen, wie viele Kilometer sie jährlich für Training und Wettkämpfe unterwegs sind. Morgen müßten sie trotz der langen anstehenden Rückfahrt um fünf Uhr aufstehen und zur Arbeit gehen. Schließlich sei das Hobby der Kinder teuer; so eine kleine Maschine koste um die 3.500 Euro. Auch die „Kids“ haben bereits Sponsorenaufkleber auf dem Anzug und an der Rennmaschine, aber das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das nenne ich Enthusiasmus. Lehrer und Rektoren zeigten immerhin soviel Verständnis für ihre sportlichen Schüler, daß die Jungs heute und am nächsten Tag nicht zur Schule müssen.
Unter den Anzügen aus Leder und verstärktem Nylon tragen sie im Oberkörperbereich Protektoren, ansonsten normale Unterwäsche. Ernsthaft verletzt waren beide noch nie. Bleibt zu hoffen, daß es so bleibt und sie über die Pubertät hinaus den Spaß und gesunden Ehrgeiz nicht verlieren.
Alle Junioren haben sich wacker geschlagen und sind auf den ersten Blick auf der Rennbahn kaum von den Großen zu unterscheiden. So auch die Lokalmatadoren Duncan Pfeiffer (13 Jahre) und Chiara Reiffert aus Waldsee.
Gespräch mit dem niederländischen Topfahrer Romano Hummel und seinem Team
Gleich nebenan treffe ich einen, der schon so ziemlich alles gewonnen hat und doch bodenständig ist. Während seine Helfer an einer blitzblanken Maschine schrauben (die Spitzenfahrer haben mindestens zwei dabei) und sein Onkel als Team-Chef relaxed vom Campingstuhl aus die Szenerie überblickt, ist ein völlig entspannter Romano Hummel (25 Jahre) sofort zu einem Plausch bereit. Noch voll in Montur hatte er sich nach dem ersten Sieg kurz in den Reisevan zurückgezogen, hockt nun aber lässig in der offenen Seitentür. Seit 2016 ist er Profi und startet auch bei Grasbahnrennen. Bereits 2021 wurde er Weltmeister der Sandbahnfahrer.
„Hallo, mag ik iets vragen ..?“ Es war seinerzeit nicht sein Vater, sondern besagter Onkel, der ihn zum Motorsport brachte. Ja, er sei erfolgreich und könne den Motorsport so ganz gut finanzieren. Komplett davon leben, könne aber selbst er nicht und er arbeite 3-4 Tage die Woche als Heizungs- bzw. Geothermie-Fachmann. Und das, obwohl er mindestens 26 Wochenenden im Jahr auf Tour ist. Seine Maschine habe 500 ccm. Auf meine Frage, wie viel PS das seien (ich schätze um die 70), meint er lächelnd: „unwichtig, Hauptsache die läuft und hat Power“. Die Kosten für seine Rennmaschine, die teils maßgefertigt ist, liegen so um die 7000.- Euro. Hinzukommen natürlich die permanente Wartung, Ersatzteile, Tuning und jede Menge Reifen. Für fast jedes Rennen werden neue Reifen aufgezogen. Ein Reifen- bzw. Radwechsel dauert, wie ich an anderer Stelle beobachten konnte, nur etwas mehr als eine Minute.
Motorrad-Champs sind ja eher Leichtgewichte, auf seine Figur achten müsse er aber nicht; im Zweifelsfall gebe er halt mehr Gas. Wie alle Holländer esse er gerne „Vulkan“ – eine aufgetürmte Portion Kartoffelbrei mit brauner Soße in einer mittigen Vertiefung. Eisspeedway sei er noch nicht gefahren, könne sich den enormen Krach in einer großen Eishalle aber lebhaft vorstellen. Alle im Team seien aus dem Raum Groningen und ein Mitglied davon wohne sogar in Heerenveen direkt gegenüber der weltweit legendären Thialf-Halle, wo bei Eisschnelllaufveranstaltungen (neben Fußball in den Niederlanden Nationalsport) die Hölle los ist.
Eine Lautsprecheransage unterbricht unser Gespräch; er muß sich für ein weiteres Rennen fertig machen. „Veel succes en het allerbeste“.
Toll anzuschauen sind die Gespannfahrer
Da herrscht schon durch permanente Gewichtsverlagerung des Beifahrers viel Action. So ein Gespann kann schnell mal über 10.000 Euro kosten, so die Cracks Markus Venus und Markus Eibel aus Passau. Hinsichtlich der Preisgelder halten auch sie sich bedeckt. In der Regel sei schon das Antrittsgeld nach vorheriger Absprache mit dem Veranstalter maßgebend, das sich nach Titelanzahl und Bekanntheitsgrad richtet, etc. Der Pokal oder eine Siegprämie scheinen nur kleine Extras. Genaue Zahlen nennt natürlich keiner.
Und nein, nicht alle Fahrer sind Mechaniker oder Tüftler; es sind auch hauptberufliche „Schreibtischtäter“ dabei.
Ergebnisse
Die spektakulärsten Start-, Überholmanöver und Kurvendrifts finden immer statt, wenn die Kamera gerade nicht mit läuft. So wie das Duell zwischen Lukas Fienhage und Dave Meijerink. Oder dem Start-Ziel-Sieg von 2021 Weltmeister Romano Hummel auf seiner grellgelben Maschine. Er war in diesem Rennen einfach eine Klasse für sich und seine Kurventechnik unschlagbar.
Wie die Rennen im Einzelnen ausgingen, kann man auf den Seiten des MSC Altrip nachlesen: https://www.msc-altrip.com/rennergebnisse/2024/
Persönliches Resumee
Bis dato war mir nur die Motorradlegende Egon Müller ein Begriff, der 1974, 1975 und 1978 Weltmeister auf der Langbahn war, nunmehr bin ich up-to-date. Benzin habe ich auf andere Weise im Blut, denn einfach nur Runde um Runde drehen – auch wenn am Gashebel Taktik und Feingefühl gefragt sind – wäre mir zu eintönig. Vielleicht könnte man in einer Sonderklasse ja mal ein paar Hindernisse oder Sprünge einbauen. Geradezu fortschrittlich aber ist der Speedway-Sport in puncto Gleichberechtigung. Männlein und Weiblein treten in den Klassen gemeinsam an. Die Regeln sind ganz einfach: der/ die Beste/ Schnellste gewinnt.
Insgesamt – bis auf die Presseakkreditierung – eine gelungene, in vielerlei Hinsicht interessante Veranstaltung mit disziplinierten, begeisterten Publikum, hilfsbereiten Organisatoren und abwechslungsreichen Speiseangeboten: z.B. frittierte Calamari, statt der ewig gestrigen Bratwurst.