Die olympischen Spiele in Paris sind in vollem Gange und die Topplatzierten umjubelte Stars. Die Berichterstattung überschlägt sich mit Superlativen und die Welt dreht sich weiter. Was aber bleibt und welche Aufmerksamkeit wird den am 28. August beginnenden Paralympics zuteil?
Was passiert eigentlich mit den Sportlern*innen, wenn der Ruhm verraucht und die Sportkarriere endet? Schließlich stehen nicht alle Sportarten rund ums Jahr im Medieninteresse und lassen sich später versilbern wie Fußball oder Tennis oder der Profi-Radsport. Und wie geht es gerade denjenigen, die wegen Verletzungen nicht am Start sein können oder die Qualifikation knapp verpasst haben und im Vorfeld für den Sport alles andere aufgegeben und untergeordnet haben?
Mit DREI von ihnen konnte ich in den letzten zwei Monaten darüber sprechen. Ihre Werdegänge und Geschichten sind bemerkenswert und verdienen gehört zu werden.
Im Laufe meines Sportlerdaseins habe ich einige Top-Olympioniken persönlich kennengelernt, wie z.B. die Schweizerin Piourettenkönigin Denise Biellmann (Eiskunstlauf) und Michael Schmid (2010 erster Olympiasieger im Skicross). Anläßlich der Sommerolympiade kommen hier u.a. der Ringer Alexander Leipold, der Para-Leichtathlet Johannes Floors, die Rollstuhl-Fechterin Esther Weber sowie die Gewichtheberin Lisa Marie Schweizer zu Wort.
RINGEN ist olympische Disziplin der ersten Stunde, so die Relief-Abbildung aus dem Sockel des Kouros (ca. 500 v. Chr.), der sich im nationalen Archäologischen Museum in Athen befindet. Nicht umsonst unterscheidet man heute in Griechisch-römischer Stil und Freistil. Meine erste Begegnung mit einem Ringer-Olympiasieger war jedoch schon 1968. Wir waren gemeinsam als Glücksboten bei einer Verlosung eingeladen. Er (Mitte), der berühmte „Kran von Schifferstadt“ Wilfried Dietrich; ich als acht-jähriges Eislaufküken (vorne rechts). Dietrich ist 1992 in Südafrika verstorben, seine sportlichen Nachkommen in Schifferstadt haben aber noch viele Titel errungen oder sind dem Ringen als Trainer treu geblieben.
Einer davon ist der Schifferstädter Markus Scherer, der bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles die Silbermedaille sprichwörtlich errang. Ein anderer ALEXANDER LEIPOLD, der mit seinen zahlreichen Weltcupsiegen, Welt- und Europameistertiteln sowie dem Sieg bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 zu den erfolgreichsten Ringern weltweit – mit unglaublicher Geschichte – gehört. Er hat er nicht nur vier Olympiaden als Sportler erlebt, er kennt auch die Anforderungen und Atmosphäre aus Sicht des Bundestrainers.
Doch nicht nur im Sport wurde Leipold für seinen kämpferischen Einsatz und seine Zielstrebigkeit belohnt, auch im Privatleben konnte er schwierigste Herausforderungen erfolgreich niederringen. 2003 erkrankte er im Trainingslager in Usbekistan an einem Virus. In Folge erlitt er innerhalb einer Woche drei Schlaganfälle, war halbseitig gelähmt, konnte kaum mehr sprechen und schlucken. Der Kampf zurück auf die Matte war sein wohl größter Gegner, den er nicht zuletzt dank seiner mentalen Stärke und seines Durchhaltevermögens gewann. 2005 kehrte er mit dem Weltmeistertitel an die Weltspitze zurück.
Nach Abschluß seiner sportlichen Karriere absolvierte der Unterfranke ein Studium zum Diplom-Trainer und übernahm 2005 für sieben Jahre das Bundestraineramt der Freistilringer. Im Februar 2013 wurde ihm für seine Leistung als sportliches Vorbild und seines ehrenamtliches Engagements das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Auch bei einem „Ausflug“ auf das glatte Tanzparkett machte er bei „Let’s Dance“ eine gute Figur. Mittlerweile ist er ein gefragter Motivations-Coach: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, „Glaub‘ an dich“, „Feel your Limit“. Der Buchautor ist ferner Botschafter der „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“. Seit 2021 ist er Vize-Präsident des Deutschen Ringer-Bundes.
Im Vorfeld der Spiele habe ich das Leistungszentrum in Schifferstadt besucht und danach mit Alexander Leipold über seine Olympia-Erfahrungen und Emotionen gesprochen. Er (heute 53 Jahre alt) brennt nach wie vor für seinen Sport, den er als „Schachspiel mit dem eigenen Körper“ bezeichnet, d.h. Erfolg durch Technik, Taktik und Nervenstärke. „Man sollte die Stärken und Schwächen des Gegners möglichst gut kennen, d.h. schon vorab schon einschätzen können, welche Griffe dieser im Verlauf einer Runde ansetzen wird und wie man den Kampf zu eigenen Gunsten entscheiden kann“. Vor vielen Jahren habe ich ihn in der Bundesliga einmal ringen sehen. In der Tat habe ich ihn weniger als Kraftpaket, denn als flinken Fuchs mit blitzschnellem Reaktionsvermögen in Erinnerung.
Der Vater zweier Jungs ist wie ich im Sternzeichen Zwilling und ein lebhafter, aufgeschlossener Typ. Ich erwische ihn gerade zwischen zwei Telefonaten und schon nach einer Minute sind wir uns einig, daß Applaus und Anfeuerungsrufe während des Wettkampfes „das Salz in der Suppe“ sind. „Als Trainer ist man bei Wettkämpfen mindestens ebenso nervös, denn man möchte seinem Schützling ja keine falschen Tipps im Umgang mit dem Gegner geben“, so mein Gesprächsexperte.
Viel Glanz und ein Schatten
Nach Paris werde er nicht fahren, auch wenn er jetzt mal Gelegenheit hätte, entspannt bei einer Eröffnungszeremonie dabei zu sein. In all den Jahren stand jedes Mal bis zur letzten Minute eine optimale Wettkampfvorbereitung im Vordergrund. In Seoul (1988) ging für den damals 18-Jährigen ein Kindheitstraum in Erfüllung und der 7. Platz war ein großer Erfolg. In Barcelona (1992) wurde ihm gleich zu Beginn ein Favorit zugelost, was im KO-System ein rasches Ausscheiden bedeutete. In Atlanta (1996) reiste er als Vize-Weltmeister an und wurde aufgrund einer umstrittenen Bewertung am Ende aber „nur“ Fünfter, was seinem persönlichen Anspruch nicht genügte. „Für Sydney 2000 verlief schon die Vorbereitung optimal. Überlegt und konzentriert kämpfte ich mich mit all meiner Routine in’s Finale und mit einer letzten Energieleistung schließlich zu Gold„. Aufgrund zweifelhafter Dopingvorwürfen währte seine Freunde darüber jedoch nur kurz. Auch wenn er später rehabilitiert wurde, bekam er seine Goldmedaille vom IOC nicht zurück und darf sich nicht Olympiasieger, sondern „nur“ Sieger der Olympischen Spiele nennen. Diese unglaubliche Regelung resultiert u.a. daraus, daß deutsche Olympiateilnehmer vorab unterschreiben müssen, alle Entscheidungen des NOK/ IOC zu akzeptieren und im Falle von Streitigkeiten kein ordentliches Gericht anrufen, stattdessen interne Verhandlungen am CAS (Court of Arbitration for Sport), dem internationalen Sportgerichtshof in Lausanne, zu führen. Die spätere Rehabilitierung konnte seine Sportlerseele zurecht jedoch wenig heilen. Von Regressansprüchen ganz zu schweigen, stellte dieser Umstand seine Nervenstärke für viele Jahre auf eine harte Probe. „Mit meinem Buch habe ich mir den Frust regelrecht von der Seele geschrieben“, so Leipold. „Zeitweilig kam ich mir vor, wie ein zu Unrecht beschimpfter Kinderschänder, irgendwas bleibt immer hängen“.
Trotzdem – oder gerade deswegen – bewahrt er seine Trophäen und die Olympiakleidung sorgsam in einem Schrank auf. Einige Kleidungsstücke habe er später auch für gute Zwecke versteigert und als Leihgaben in ein Museum gegeben. Klar hätte er auch gerne mal eine Fackel getragen, jedoch habe ihm das nie jemand angeboten. „Und wenn ich auch nie eine Eröffnungsfeier erlebt habe, so doch fünf Abschlußfeiern“, so Leipold mit verschmitztem Lächeln.
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Die Website von PARA-LEICHTATHLETIK –Weltmeister JOHANNES FLOORS
beginnt mit den Worten: „…. alles rauscht an dir vorbei. Wenn man diesen Punkt hatte – und so war es bei mir – dann will man immer nur noch schneller rennen. Ich bin mit einem Fibula-Gendefekt auf die Welt gekommen, das heißt, die Unterschenkel und Füße waren deformiert, Wadenbeine habe ich keine. Ich hatte 16 Jahre lang extreme Schmerzen, andauernd. Irgendwann habe ich mich vor die Wahl gestellt: Rollstuhl oder Prothesen. Es (die beidseitige Amputation) war keine leichte Entscheidung, aber die richtige. Die beste meines Lebens. Was ist daraus geworden? Ich habe Sportabitur gemacht, einen Triathlon hinter mir, bin mehrfacher Weltmeister, Paralympics-Sieger im 400 Meterlauf (Tokio) und ausgebildeter Orthopädietechnik-Mechaniker – und ich habe mich erst vor sechs Jahren amputieren lassen. Ich vergesse das immer ein bisschen, aber das Wichtigste ist, der Schmerz, ist weg. Ich wollte einfach nur keine Schmerzen mehr haben und kann manchmal selbst nicht fassen, wie viel Positives aus dieser Entscheidung entstanden ist.“
Dem ist eigentlich nichts hinzufügen. Adjektive wie „taff“ oder „genial“ klingen angesichts des Werdegangs des heute 29-Jährigen wie Worthülsen. Weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei den Paralympics 2024. Leider kam eine persönliches Gespräch nicht zustande und mithin bleibt für mich die Frage offen: Was kann so jemanden noch schrecken?
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Eine erfahrene und höchst erfolgreiche Paralympics-Teilnehmerin ist auch die ROLLSTUHL-FECHTERIN ESTHER WEBER,
deren Leben im Alter von 15 Jahren durch einen Autounfall eine drastische Veränderung erfuhr. Um so mehr bewundere ich an der Betriebswirtin, die zudem Mathematik und Theologie im Lehramt studierte, die Stärken „Geduld“, „für andere da zu sein“ und „verlieren können„. Wer Esther Weber näher kennenlernt, merkt schnell, daß es genau das ist, was sie vorantreibt und erfolgreich macht. Geduld braucht es beim Fechten eben, um den richtigen Moment abzuwarten und dann den entscheidenden Treffer zu setzen. „Verlieren können“ bedeutete für Sie erster Linie „lernen den Verlust physischer Defizite zu akzeptieren“ und sich – nicht nur in sportlicher Hinsicht – neu zu orientieren. „Aus dem, was man hat, etwas machen, also kreativen Pragmatismus leben„, ist ihre Lebensmaxime.
Kein Wunder, daß eine Ihrer Lieblingskünstlerinnen die Mexikanerin Frieda Kahlo ist, die in jungen Jahren von einer Straßenbahn erfaßt wurde und Zeitlebens durch Rückgratdeformationen an unsäglichen Schmerzen litt. Dennoch wurde sie eine weltberühmte Malerin; oder vielleicht genau deshalb? In jedem Falle eine Persönlichkeit, die auch ich seit meines Aufenthaltes in Mexiko für ihre Willens- und Schaffenskraft bewundere.
Esther Weber nahm an vier paralympischen Spielen teil, nämlich in Barcelona (1992), Atlanta (1996) und Sydney (2000). Jedes Mal kehrte sie mit mehreren Medaillen heim, wobei das Degen-Gold von Barcelona natürlich besonders hell strahlt. Ganz zu schweigen von den vielen WM- und EM Medaillen im Degen- und Florettfechten und natürlich unzähligen DM-Titeln. Lediglich in Athen 2004 blieb sie einmal ohne Medaille. „Ja, die Teilnahme an den ersten Paralympischen Spielen in Barcelona wirke bis heute am nachhaltigsten, nicht nur wegen der Goldmedaille„, so Esther Weber als wir Anfang April telefonieren. Auch für sie als „Paralympikerin“ (Startklasse B) ist dabei sein eben NICHT alles und über so manche Trefferentscheidung – insbesondere beim Florettfechten – habe sie sich im Laufe ihrer Karriere schon geärgert. Statt einer Medaille bleibt aufgrund des K.O.-Systems dann schnell mal nur ein Platz neben dem Treppchen.
Trainiert habe sie zweimal am Tag genauso umfänglich wie die „Fußfechter“ und war im Training in Waldkirch und im Leistungszentrum Tauberbischofsheim immer voll integriert. „Da haben sich die anderen Top-Fechter eben auch mal in den Rollstuhl gesetzt bzw. im Gestell fixiert und nur aus dem Oberkörper heraus gefochten. Das war für beide Seiten eine perfekte Trainingsvariante„. Zumal sie, obwohl eigentlich Rechtshänderin, der besseren Restkraft wegen „Linksfechterin“ wurde. Am Fechten habe sie schon immer das Zusammenspiel von Technik und Taktik fasziniert; gepaart mit ihrer mentalen Stärke offensichtlich das perfekte Erfolgsrezept. Die Behinderung hielt sie auch nicht davon ab, seinerzeit ein Studienjahr in Italien zu verbringen. Schließlich kommen neben Polen und Frankreich von dort besonders starke Gegnerinnen her. In Catania – man höre und staune – fand sie die perfekte Uni für ihr Erasmusjahr und den entsprechenden Fechtverein. „Da konnte ich mich mit vielen Topkolleginnen messen und mich auf deren Taktik und typische Fechtweise für den nächsten internationalen Wettkampf vorbereiten„. Bei diesem Satz kann ich sie durch das Telefon regelrecht schmunzeln sehen.
Das Leben danach
Die Waldkircherin und Mutter von zwei sportlichen Kindern (die aber weder Fechten, noch Leistungssport betreiben) erhielt schon viele Auszeichnungen u.a. das silberne Lorbeerblatt und 2000 den Georg von Opel-Preis „Die stillen Sieger“ in der Kategorie „Besondere Kämpfer“. Sie ist ferner Botschafterin des Landes Baden-Württemberg und Referentin des bemerkenswerten Projektes „Behinderte helfen Nicht-Behinderten“ etc. Seit 30. September 2008 trägt das Sonderpädagogische Bildungszentrum in Emmendingen überdies ihren Namen, nämlich „Esther-Weber-Schule“. „Die Feierlichkeiten anläßlich der Namensgebung waren sicher einer der emotionalsten Momente in meinem Leben“, so Weber. Auch dies war indirekt ein kleiner Sieg, da sie sich gegen prominente Konkurrenz wie die o.g. Frieda Kahlo und Margarete Steiff durchsetzen konnte. Apropos Sieg: Die Paraolympioniken dürfen sich nicht Olympiasieger, sondern ausdrücklich „nur“ Paralympics-Sieger“ nennen – so will es das IOC.
Eine ganz besondere Ehre wurde ihr schließlich in London lange nach ihrer Aktivenzeit zuteil, als sie im Rahmen des paralympischen Fackellaufes über die Tower-Bridge tragen durfte und vom damaligen Bürgermeister Boris Johnson in Empfang genommen wurde. Selbst später sagte sie darüber, daß es sich wie ein „Sechser im Lotto“ angefühlt habe und dieser Moment durchaus mit einer Olympiateilnahme gleichzusetzen sei. Am selben Abend nahm sie zusammen mit ihren Kindern auch an der grandiosen Opening-Ceremony der Paralympics teil, die von Königin Elisabeth II eröffnet wurde. In jeglicher Hinsicht der krönende Abschluß einer Sportlerkarriere. Allerdings mußte sie die 275.- Euro für den Fackelabschnitt und die Reisekosten selbst aufbringen. Olympia hat eben immer seine eigenen Gesetze.
FAZIT: Vielleicht zeichnet es gerade (olympische) Para-Sportler und krisenerprobte Athleten aus, nicht „nur“ Sportler bzw. Sportstars zu sein, sondern durch einige Wendungen im Leben viel breiter aufgestellt und als Menschen gefestigter zu sein. Meine Hochachtung!
Auch die Gewichtheberin LISA MARIE SCHWEIZER
kann eine sehr spezielle Olympia-Geschichte erzählen. Sie startet für den Athletenverein Speyer, trainiert aber fast ausschließlich am Bundesstützpunkt in Leimen nahe Heidelberg. Seit ihrem 14. Lebensjahr betreibt sie das Gewichtheben; seinerzeit eigentlich aus therapeutischen Gründen gegen Rückenschmerzen. Das klingt kurios, denn gerade beim Leistungssport bleiben Verletzungen natürlich nicht aus. So ist die Gesundheit meist der größte Gegner auf dem Weg nach oben und vor allem im entscheidenden Moment, wenn es um die Olympiaqualifikation oder das Wettkampfgeschehen am Tag X geht. Lisa Marie Schweizer weiß ein Lied davon zu singen. Nur drei Wochen vor den Olympischen Spielen in Tokio zog sie sich einen Bandscheibenvorfall zu. Glück im Unglück, denn dank der Unterstützung von Arzt und Physiotherapeuten stand sie nur eine Woche später mit der Langhantel wieder auf der Plattform. „Schmerzen hatte ich eigentlich nie, aber die Muskulatur hat sich immer wieder verspannt“. Sie reiste dennoch nach Tokio und schaffte das eigentlich Unmögliche. „Ich hätte mir nie verziehen, es nicht wenigstens probiert zu haben“. Obwohl nicht in Höchstform, riss die damals 26-Jährige in der Gewichtsklasse bis 64 Kilogramm schließlich 100 kg, stieß 117 kg und belegte im Zweikampf Platz 10. „Natürlich ist Olympia das Größte, das man erreichen kann„.
In Paris wollte sie – die sich inzwischen als 24-Stunden Sportlerin bezeichnet – nun natürlich in Bestform angreifen und träumte von einer Topplatzierung. Europameisterin war sie immerhin schon einmal und im Februar 2024 hatte sie bei der EM in Sofia Silber im Reißen und Bronze im Zweikampf gewonnen. Topathleten reißen und stoßen übrigens bis zum Doppelten ihres Körpergewichtes. So sieht es aus, wenn Lisa Marie an’s Gerät geht: siehe Link EM in Sofia.
Doch es sollte anders kommen. Mitte April ist sie gerade von den IWF Weltmeisterschaften in Phuket/ Thailand zurück, der letzten Möglichkeit sich für Olympia zu qualifizieren. „Es tut schon sehr weh zu wissen, dass kein/e deutsche/r Gewichtheber/In bei den Olympischen Spielen in Paris starten wird„, so Bundestrainer Almir Velagic (gebürtiger Bosnier, vormals selbst für die BRD erfolgreicher Gewichtheber). Auch Lisa Marie Schweizer scheiterte in der Klasse bis 71 kg Körpergewicht mit 229 kg (107 im Reißen und 122 kg im Stoßen) an einer Top-10-Position bzw. der notwendigen Qualifikationsnorm, d.h. sie hätte dafür die sehr hohe Last von insgesamt 239 kg im Zweikampf bewältigen müssen. „Im zweiten Versuch hatte sie 128 kg eigentlich schon bewältigt, doch diese Leistung wertete das Kampfgericht für ungültig“, so Frank Hinderberger, Abteilungsleiter ihres Speyrer Vereins. Dann erneut über die eigene Bestleistung hinaus zu stoßen, war ihr nicht vergönnt. Auch die Hoffnung noch eine „Wildcard“ zu bekommen ist eher gering.
Prinzip Hoffnung
Wie geht man mit so einer Situation um? Wie motiviert man sich weiter, wenn man merkt, daß der sportlichen Zukunft aus diversen Gründen Grenzen gesetzt sind? Um mit ihr darüber zu sprechen, treffe ich sie im Rahmen des Bundesliga-Finales der Deutschen Mannschafts-Meisterschaften (DMM) in Heidelberg. „Ich gehe noch schnell zum Wiegen, dann können wir reden“ und schon zehn Minuten später kommt sie lächelnd zurück. Noch eine Stunde bis zum Wettkampf, aber von Aufregung keine Spur. Wenn man sie so ansieht, möchte man nicht vermuten, welche Gewichte sie stemmen kann. „Das gelingt nur, weil ich seit Jahren viel Zeit in meinen Körper investiere, d.h. neben dem Techniktraining täglich an einem speziellen Muskelaufbau arbeite ohne Muskelpakete zur Schau zu tragen. Ferner achte ich sehr auf eine sportartspezifischer Ernährung und nehme mir ausreichend Zeit für Physiotherapie und andere Regenerationsmaßnahmen“. Auch als Gewichtheberin ist sie ganz Frau und fügt noch schnell hinzu: „Natürlich soll man es mir ansehen, dass ich so viel gezieltes Körpertraining und Körperpflege betreibe.“ …“ Zudem hoffe ich, daß sich die Qualifikationsbedingungen für Olympia 2028 noch einmal zu meinen Gunsten ändern“ ….“solange das Knie mitmacht, kann ich mich (von wenigen Wochen im Jahr abgesehen) ganz auf meinen Sport konzentrieren, denn mein Arbeitgeber steht voll hinter mir“. Offensichtlich schöpft sie Kraft und Zuversicht auch aus einer gewissen finanziellen Sicherheit heraus. „Wenn ich an die Langhantel gehe, denke ich über das Umfeld, die Konkurrenz oder die Bedeutung des jeweiligen Wettkampfes gar nicht groß nach. Ich gehe in Bruchteilen von Sekunden nochmals den Ablauf durch, schiebe die Hüfte nach vorne und …. hopp“. So war es auch in Thailand. „Natürlich ist es unbefriedigend, wenn man aufgrund von Doping-Disqualifikationen bei Vorplatzierten später einfach eine neue Urkunde geschickt bekommt, auf der nun ein besserer Platz steht. Was mich aber gerade in Phuket viel mehr geärgert hat, war die angebliche Ungültigkeit meines zweiten Versuches im Stoßen. Wäre dieser gewertet worden, hätte ich nicht nur meine Bestleistung in der Kombination gesteigert, sondern wäre auch ganz nah an die Norm herangerückt„. Für einen Moment war ihr Lächeln entschwunden. Ich ahne, was sie meint, denn dann hätte sich die Tür nach Paris doch noch geöffnet.
Bleibt zu hoffen, daß Gewichtheben angesichts der diversen Dopingskandale überhaupt weiterhin olympisch bleibt bzw. der Weltverband IWF endlich sein Image verbessert. Gerade Siege von Nord-Koreanern, Kasachen oder Chinesen (bei Olympia 2008 in Peking wurden ihnen allein drei Goldmedaillen aberkannt) stimmen mich persönlich diesbezüglich eher skeptisch. Meines Wissens führt der Bundesverband Deutscher Gewichtheber (BVDG) über alle internationalen Dopingfälle seit Beginn der Olympischen Spiele in London 2012 eine Liste. Spitzenreiter soll Kasachstan sein, gefolgt von Aserbaidschan sowie Bulgarien und Weißrussland. Allein zusätzliche Nachtests (B-Probe) der Olympischen Spiele von London durch die WADA (Welt-Antidoping-Agentur) führten zu 20 Positivproben. Was soll man davon halten? Alle machen mit, jeder weiß Bescheid? https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Dopingfall_im_Gewichtheben In der Statistik steht Gewichtheben bei den Dopingverstößen nominal nach Bodybuilding, Leichtathletik und Radsport „nur“ an vierter Stelle. Im Verhältnis zur Zahl der Aktiven jedoch eher ganz vorne.
Im Vorübergehen treffe ich zufällig auch mit einigen maßgeblichen Funktionären zusammen: dem Präsidenten des BVDG Fabian Sperl, Matthew Curtain (Board Member IF Delegation Paris 2024) und dem Präsidenten der EWF (European Weightlifting Federation) Antonio Conflitti aus Moldau. Offensichtlich bespricht man die kritische Situation des Gewichthebens in den Gremien bzw. bemüht sich am Rande von Wettbewerben um Möglichkeiten einer Neuregelung und mehr Transparenz, um Gewichtheben im Hauptprogramm der olympischen Spiele 2028 in Los Angeles doch noch zu halten. Spätestens 2026 sollte eine Entscheidung darüber gefallen sein und dann wird auch Lisa Marie Schweizer eine endgültige Entscheidung über ihre sportliche Zukunft treffen.
Steht man für einen sauberen Sport und ist man auf seinen guten Ruf bedacht, gehört unter diesen Umständen schon fast Mut dazu, sich weiter zum Gewichtheben zu bekennen. Umso mehr gilt den Protagonisten dieser Sportart mein Respekt. Ach ja. Von Beruf ist die Powerfrau Lisa Marie Schweizer übrigens Polizeikommissarin. Wenn das nicht für sich spricht. Da können sich die Halunken schon mal warm anziehen.
Ja, so sehen die Medaillen (gestaltet vom frz. Edeljuwelier Chaumet) von Paris aus. Auf der Vorderseite m.E. ein überraschend klassisches Design, das an die Strahlkraft eines Diamanten erinnern soll. Auf der Rückseite sind die Olympischen Ringe, die Siegesgöttin Nike sowie die Akropolis und der Eiffelturm zu sehen. Der Clou bleibt allerdings die (18 Gramm) Metalleinlage mit Stücken vom Eiffelturm.
Eigene Erfahrungen
Was mir persönlich mindestens so wichtig wie der olympische Wettkampf gewesen wäre, ist die Teilnahme am Fackellauf sowie an den Ein- und/ oder Ausmarsch-Feierlichkeiten – vor allem, wenn man nur einmal Gelegenheit dazu haben wird. Ich erinnere mich noch gut, wie es mir bei der Profi-WM im Eiskunstlaufen 1979 in Spanien erging. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, aber ich war einzige deutsche Vertreterin und es sollte eines meiner nachhaltigsten Erlebnisse werden. Eine Nation nach der anderen wurde – angeführt von Eislauf-Eleven des örtlichen Vereins – mit Namenschild in der Hand aufgerufen und zu der auf dem Eis bereits platzierten Nationalflagge geführt. Meine kleine Eisprinzessin war gerade mal drei Jahre alt und tippelte höchst unsicher über das Eis, geschweige denn konnte sie dabei das Schild „Alemania“ halten. Hätte ich nicht selbst beim Einmarsch mitgeholfen, wären wir vielleicht nie an dem vorgesehenen Platz angekommen. Das Publikum quittierte die amüsante Situation zunächst mit einem leisen Raunen und applaudierte schließlich unter Bravorufen. Als dann die Nationalhymne ertönte, lief mir doch ein gewisser Schauer über den Rücken. Nicht, weil es um den Start für Deutschland ging, sondern weil die Hymne nur für mich gespielt wurde und mir zudem klar wurde, daß es meine letzte Meisterschaft sein würde. Kaum einen Moment in meiner Karriere – man läuft als Aktiver sonst immer (zurecht) den Erfolgen und der Bestform nach – habe ich so aufgesogen wie diesen.
Apropos, nur eine Woche später begannen meine schriftlichen Abiturprüfungen. Es mag kurios klingen, aber ich hatte gar keine Zeit um in Streß zu geraten oder in übermäßige Aufregung zu verfallen. Wo habe ich im Laufe der Jahre (ohne digitales Tablet oder Smartphone) nicht überall gelernt: im Auto, an Bushaltestellen, in Kneipen, in Flugzeugen, etc. Was andere darüber dachten oder sagten, hat mich nie interessiert. Unter einem gewissen Druck Leistung zu bringen und vieles gleichzeitig zu tun, war für mich selbstverständlich und für meine Gesprächspartner ebenso. Vielleicht alles eine Frage von Gewohnheit und Zeitgeist?
Bedenkt man, daß oft nur Hundertstelsekunden, ein paar Gramm oder Millimeter Gold von der „Holzmedallie“ trennen, was später unter Umständen über einen lukrativen oder keinen Sponsoren-/ Werbevertrag oder sonstige Privilegien entscheiden kann, sollten alle die „The winner takes it all“ und „Like“-Mentalität dringend überdenken. Ein aufrichtiger Fan und Freund unterstützt und bejubelt sein Idol nämlich nicht im Moment des Sieges, sondern im Fall einer Niederlage und schweren Stunden.
Mein Dank gilt an dieser Stelle meinen Gesprächspartnern für die Zeit und ihre offenen Worte sowie die diversen Engagements auch abseits des Sports.
Wie steht es um den Deutschen Sport?
Aufgrund einer seit Jahren rückläufigen öffentlichen (Leistungs-)Sportförderung, werden künftig immer weniger Erfolge möglich sein. Unsere Politik schweigt dazu. In vielen Sportarten sind deutsche Athleten bei Olympia gar nicht mehr vertreten oder ziemlich chancenlos. Talente gibt es nach wie vor genug, aber in unserer, z.B. im Vergleich zu Asien, „weichgespülten Gesellschaft“ gilt es einfach nicht mehr als erstrebenswert sich überdurchschnittlich zu bemühen; um nicht zu sagen, sich zeitweilig zu schinden. Freilich erfordert dies auch seitens der Eltern eine gewisse zeitliche und finanzielle „Opferbereitschaft“. Es wäre an dieser Stelle einfach zu sagen: Sport ist nicht alles und die schönste Nebensache der Welt, doch letztlich überträgt sich diese Mentalität auch auf andere Lebensbereiche. Die deutschen Medien haben ihren Modus des Schönredens und Weglassens erwartungsgemäß elegant gefunden (London 44, Peking 42, Tokyo 37, Paris …? … Medaillen). Der früher so oft (stolz) gezeigte Medaillenspiegel findet indes kaum Erwähnung, dafür mußten die erfolgreichen Sportler zigmal zum Interview und die Kommentatoren/ Moderatoren hyperventilierten regelrecht, wenn eine Medaille oder ein Finaleinzug auch nur in Aussicht stand. Die Hitliste führt dabei stets das „Emotional-Sensibelchen“ Carsten Sostmeier an. Sein Grund zum Jubeln beruht allerdings darauf, daß die siegreichen Damen und Herren im (Dressur)Reitsport ohnehin betuchte Selbstzahler ihrer Sportart sind.
Auch neigt unsere Gesellschaft schnell zu euphorischen Formulierungen wie „Unsere Olympiasieger im Eiskunstlaufen“, allerdings hat keiner „unseres“ Paares das Eislaufen in Deutschland gelernt. Alles, was Aljona Savchenko und Bruno Massot auszeichnet, verdanken sie ihren Heimatländern Ukraine und Frankreich bzw. der Einbürgerungspolitik. Umgekehrt läßt ein Verband aus finanziellen Gründen auch mal Chancen verstreichen und so startet der Deutsche Tim Dieck im Eistanzen nach Wechsel der Partnerin nun für Spanien. Die Deutsche Eislauf Union wollte die Trainingskosten bei einem „Meistertrainer“ im Ausland schlicht weg nicht bezahlen. Den Spaniern war es das schon der Vorbildfunktion wegen Wert. Das zweite deutsche Eistanzpaar erreichte bei den Weltmeisterschaften 2024 nicht einmal das Finale der Besten 20. Bei Profi-Straßenradsport-Übertragungen nennt der Reporter mangels eines erfolgreichen deutschen Team inzwischen einfach die einzelnen deutschen Fahrer, die in alle Herrenländer verstreut sind usw.
Wohin steuert unser Sport bzw. welchen Stellenwert hat der (Spitzen-)Sport noch in unserer Gesellschaft? Die vielschichtigen Probleme, wie Unterbezahlung und Achtung der Trainer, Verfall und Schließung der Sportstätten, Verlust an Vorbildern etc. hat die ZDF-Reportage „Kein Geld, keine Medaillen“ vom 14.04.24 recht gut beschrieben und kann in der Mediathek noch bis April 2025 abgerufen werden. Als Bundesinnenministerin N. Faser um eine kurze Stellungnahme gebeten wurde, ließ sich (symptomatisch) kein Termin finden. Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn sie Zeit für eine Paris-Reise auf Staatskosten hätte. Kein gutes Zeichen und keine guten Voraussetzungen, um ein Land über Lippenbekenntnisse hinaus sprichwörtlich FIT für die Zukunft zu machen.