Der regelmäßige globalisierte Güterverkehr, respektive Warenaustausch und der Tourismus läßt Menschen und Kulturen näher zusammenrücken? Schaut man genauer hin, entpuppt sich dieses hartnäckig gepflegte Statement zunehmend als Illusion und Spiegelbild vieler europäischer Gesellschaften in puncto gescheiterter Integration und Assimilation. Warum dieser Umstand nicht nur eine Glaubens- oder Sprachfrage ist, sondern teils auch durch die digitalen Medien begünstigt wird, konnte ich kürzlich auf einer Fährüberfahrt beobachten.

Man sieht sie permanent auf den Autobahnen: LKWs aus den baltischen Staaten, Süd- und Osteuropa brummen täglich je hunderte von Kilometer über den Asphalt. Gesichtslose Raststätten werden für sie zu kleinen Zufluchtsorten für Zwangspausen, Körperhygiene und Austausch unter Gleichgesinnten; ihre LWW-Kabinen zu Rückzugsfestungen, seit es Smartphones und stabilen WLAN-Empfang gibt. Von den Regionen die sie durchfahren, sehen und wissen sie wenig. Durch Vorgabe eines eng getakteten Fahrplans und wohl auch mangels Interesse, bleibt von den typischen Gepflogenheiten und geografischen Highlights am Wegesrand kaum etwas hängen; geschweige denn entwickelt sich ein gewisses gegenseitiges Kulturverständnis oder bilden sich gar Freundschaften.

Mit der Autofähre Richtung Orient 

Aber auch da, wo ein Transportmittel alle Interessengruppen für eine gewisse Zeit „zwangsvereint“, dasselbe Bild an Parallelwelten. Im Unterschied zu regulären Passagierkreuzfahrten, wo alles auf die Minute für ein bestimmtes Klientel zugeschnitten ist, reisen auf (Langstrecken-)Fährschiffen unterschiedliche Zielgruppen.

Diese Fährschiffe sind keine Klitschen oder Seelenverkäufer. Sie sind wie Kreuzfahrtschiffe stolze Königinnen der Meere. Mit durchschnittlich 40.000 Bruttoregistertonnen sind sie über 200 Meter lang und bieten jeglichen Komfort wie Bars, Restaurants, Kino oder Wellness; in der Hauptsaison sogar Entertainment. Im Laufe ihres maritimen Lebens müssen sie allerdings viel aushalten, unterliegen aufgrund des Dauerbetriebes einer überdurchschnittlichen Abnutzung und erleben in 20-30 Jahren so manches. So kann ein im Auftrag einer asiatischen Reederei in Osteuropa gebautes Schiff seinen Dienst zunächst in Australien tun, dann in’s Mittelmeer verlegt werden, über die Jahre unter verschiedenen Namen segeln und trotz seiner Herkunft in sog. Billigflaggenländern wie Malta, Panama oder Liberia registriert sein. Auch das vermeintlich unkomplizierte „Multikulti“ der Besatzungen stößt hie und da an seine Grenzen und hat inzwischen eine gewisse Neustrukturierung erfahren. D.h. die einzelnen Arbeitsbereiche sind meist national oder zumindest ethnisch getrennt gegliedert. Während man im technischen Bereich vielfach auf osteuropäische Kräfte trifft, sind es im Servicebereich bevorzugt Philippinos, weil sie u.a. gut Englisch und Spanisch sprechen.

Unter Berücksichtigung der Umstände sind die meisten Fähren m. E. besser als ihr Ruf. Kommentare in Onlineforen wie „das Boarding war ein Chaos“, „der Fahrzeugeinweiser schrie nur herum“, „man hatte uns da einquartiert, wo es bei Seegang am meisten schwankte“ oder „die Kabine wirkte heruntergekommen und schmutzig“, bedürfen der Einordnung und entbehren häufig einer realistischen Sichtweise. Getreu dem Motto: Erst die billigste Kabine buchen und sie dann als zu klein und primitiv bewerten. Und ja, meist sind die Bullaugen und Panoramafenster fleckig von Salzwasserspritzern und weisen Fassadenbereiche Rostspuren auf. Wer soll das von außen an der meterhohen Bordwand auch permanent putzen bzw. streichen? Während der Fahrt ist dies aus Sicherheitsgründen nicht möglich und die Liegezeiten sind zu kurz. Hier beschränkt man sich vorwiegend auf Tank- und Liefermanöver.

Benvenuto a bordo

Was beim Ein- und Ausschiffen in meinem Fall unvermittelt auffällt: die Fähre Genua – Barcelona -Tanger wird überwiegend durch Maghrebiner genutzt, sonst gäbe es die besagte Verbindung wahrscheinlich gar nicht. Viel geduldiger als die Europäer warten sie auf gesonderten Spuren hinter einem Zaun auf die Zufahrt. Ihre Wagen und Vans sind meist mit Hausrat und Waren aller Art voll gepackt und bis aufs Dach beladen. Es scheint, als ob da ganze Leben und Existenzen transportiert werden. Was auch ins Auge sticht: viele ihrer Fahrzeuge tragen italienische Kennzeichen. Man kann also davon auszugehen, daß sie schon länger in Italien ansässig sind und geschäftlich hin und her pendeln. Emotional aber scheint zwischen den „beiden Welten“ kaum eine Verschmelzung stattzufinden; weder mit der früheren Kolonialmacht Frankreich, noch mit Spanien, das bis heute die Exklaven Melilla und Ceuta auf marokkanischem Gebiet besitzt, noch zu Italien.

Da es sich in diesem Fall nicht um eine klassische Roll-on/ Roll-off-Fähre handelt, gehen Passagiere und Vehikel mit Ziel Marokko teilweise zuerst an Bord, da sie ja auch als letzte in Tanger auschecken. Unfaßbar, was der Bauch einer Fähre so aufnehmen kann. Im Falle der „GNV Excellent“ sind es, abgesehen von rund 2.000 Passagieren, bis zu 780 Fahrzeuge über zwei Decks verteilt. Logischerweise kommen alle, die bei der Hafenzugangskontrolle am Terminal „Varco Albertazzi“ registriert und den neun Wartespuren zugeteilt sind, mit und rollen auf dasselbe Schiff. Auch wenn ein Landsmann mittleren Alters hinter mir meint, daß das nicht sein könne und bald sicher noch ein weiteres Schiff käme. Für wen, für ihn? Am besten frisch gestrichen und in Minuten eben mal schnell rückwärts am Quai einparkt? Solche Aussagen lassen mich immer sprachlos zurück, erklären aber auch die teils fragwürdigen Kommentare und Einstufungen auf den Online-Portalen. Hauptsache hirnlos auf auf dem Smartphone rumtippen. Etwas skeptisch bemerke ich eher, daß die gewaltigen Dieselmotoren des Schiffes permanent röhren und aus dem Doppelschornstein auch während der stundenlangen Liegezeiten Rußnebelschwaden quellen. Schließlich braucht die „schwimmende Kleinstadt“ Strom für Kühlaggregate, Pumpen, Licht und Klimaanlagen etc. Niemand kümmert das hier. Das Thema „Landstrom“ ist hier jedenfalls noch nicht angekommen und gefühlt könnten stattdessen alle LKWs und PKWs die Kilometer auch auf dem Landweg zurücklegen und hätten dabei eine ähnliche CO2-Bilanz.

Eine Übernachtung im Frachtraum bzw. im Auto oder Wohnmobil ist nicht gestattet. Ansonsten gibt es keine Sicherheitschecks von Koffern und Personen. Auch eine Rettungsbootübung findet nicht mal ansatzweise statt. Entgegen sonstiger Gewohnheiten habe ich regelrecht vergessen, in der Kabine nach der dort üblichen Schwimmweste zu suchen. Und lausche ich der holprigen Kommunikation zwischen dem Deckpersonal und ein paar Matrosen unterschiedlicher Herkunft, hege ich Zweifel, ob im Krisenfall koordinativ und effizient gehandelt werden kann.

Wie auch immer, das Boarding geht absolut zügig und geordnet vonstatten, wenn man alle Dokumente und Boardingpapiere parat hat und etwas sprachtalentiert ist. Dann muß nämlich niemand rumschreien und die Fahrkünste der Reisenden kommentieren. Knapp zwei Stunden später als geplant verlassen wir Genua. Wie sich herausstellen soll, werden wir nach 19 Stunden Fahrzeit jedoch pünktlich gegen 10.00 Uhr in Barcelona anlegen. Die komplette Fahrt von Genua nach Tanger dauert angesichts einer Entfernung von 1.158 Seemeilen bzw. 1.863 Kilometern mit rund 57 Stunden zirka dreimal so lang.

Ein Schiff, aber verschiedene Welten

Beim Check-in bestehen hinsichtlich der Liftkapazität vom Autodeck 3 auf die Passagierdecks 7, 8 und 9 zwar einige Engpässe, aber es gibt ja auch Treppen! Für behinderte Personen gibt es daher „Priority Boarding“. Auf jeder Deckebene warten hilfreiche Hände und ein Crewkoordinator, um Informationen zu geben und den Gästen ihre Kabinen zuzuweisen. Vorab ist bei Buchung eine Auswahl der Kabinennummer nämlich nicht möglich, nur der Kategorie. Prompt ist bei Eintreffen gerade meine Kabinenkarte nicht auffindbar, während andere Passagiere sofort in den Gängen und hinter den Türen verschwinden. Der Mann am Pult, der seine philippinische Crew routiniert ausschließlich in der Landessprache Tagalog managed, beruhigt. Wir kommen kurz in’s Gespräch und als ich durchblicken lasse, zwei Mal auf den Philippinen gewesen zu sein, leuchten seine Augen auf. Wo und wie, wie lange ich dort gewesen sei? Sofort greift er sich einen seiner „Boys“, der nun losspurtet um zu prüfen, ob Kabine 7420 fertig ist und ich einziehen kann. Der kleine Kofferträgerservice gehört hier genauso dazu, wie in jedem Hotel. Die Kabine ist ordentlich hergerichtet und sauber, d.h. der blaue Teppichboden ordentlich gesaugt, das Holzbett frisch mit weißen Lacken bezogen und nett aufgefaltet, das kleine Bad mit Dusche und Toilette – soweit mit bloßem Auge ersichtlich – sauber gewischt. Mehr geht in zwei Stunden Wechsel nicht. Nur leider ist die ewig rauschende Klimaanlage nicht individuell regulierbar und viel zu kalt auf vermutlich 18 Grad eingestellt. Das dürfte u.a. hygienische Gründe haben, denn bei hohem kälteren Luftzug bilden sich weniger Schimmelsporen und wird die Viren-/ Bakterienlast gebremst.

Was muß das für ein Leben sein, so fern der Heimat? Ein Heimflug ist meist erst nach vielen Monaten Arbeit an Bord möglich. Die Kabinencrew wuselt fast ausschließlich zwischen den engen Gängen und den vielen Innenkabinen herum. Alle 1-3 Tage wechseln – anders als auf einem Kreuzfahrtschiff – die Gäste; ein stets anonymer, gesichtsloser Vorgang mit erhöhtem Streßfaktor bei Maximalauslastung des Schiffes. Freischichten gibt es kaum und der Kontakt zu anderen Crewmitgliedern z.B. im Maschinenraum oder im Küchenbetrieb ist schon durch unterschiedliche Dienstzeiten minimal. Die (vorwiegend italienischen) nautischen Offiziere verlassen ihr Brückendeck so gut wie nie und bilden eine weitere Gruppe für sich – im wahrsten Sinne des Wortes hoch oben. Gehen sie bei Dienstende oder Wechselschichten von Bord, sind sie immerhin unmittelbar wieder im Heimatland. Als ich frage, ob die Brücke besichtigt werden kann, reist der Rezeptionist fast erschrocken die Augen auf. Aber nein, nein … einen Grund kann er eigentlich nicht nennen. Ich helfe mit „aus Sicherheitsgründen“ aus und seine Gesichtszüge entspannen sich erleichtert. Früher war das problemlos möglich und es war meinerseits eher eine rhetorische Frage.

Auch die Passagiere gehen, abgesehen von einer Gruppe Motorrad-Bikern, getrennt ihrer Wege. Die Deckbereiche und Pullmann-Schlafsessel in der Nähe der  öffentlichen Waschräume und den beiden muslimischen Gebetsräumen (Männer und Frauen getrennt) sind umgehend von den Nordafrikanern belegt. Die meisten haben gleich Decken und Kissen mitgebracht, um sich später einfach auf den Boden zu legen bzw. ohne Kabine zu nächtigen. Völlig gleichmütig spielen auch die meisten von ihnen an ihren Smartphones herum, skypen mit der Familie oder schauen die entsprechenden Heimatsender. Sobald das Schiff abgelegt hat, gibt es Internetverbindungen allerdings nur noch gegen MBit-Kauf.

Andere Mitreisende, die Waren zu verzollen haben, sind mit dem Ausfüllen der Einreise- und Zollpapiere beschäftigt. Offensichtlich nimmt es das Königreich Marokko auch bei seinen Bürgern sehr genau damit, denn gewissenhaft wird jede Zeile ausgefüllt und jedes Dokument mehrfach gestempelt (maximal 2000 MAD sind zoll-/ steuerfrei). Dafür befindet sich an Bord ein bevollmächtigter Zollagent, wodurch schon vor Ankunft im Hafen von Tanger Med alle Formalitäten bearbeitet werden können. Einige ältere Herrschaften lassen sich von erfahrenen Landsleuten helfen oder schielen etwas unsicher auf das Blatt des Nachbarn was einzutragen ist; die meisten Frauen lassen ihre Männer die Papiere erledigen. Das nimmt geraume Zeit in Anspruch, aber alle harren geduldig im großen Veranstaltungssaal aus, bis sie an der Reihe sind. Auch Kleidung wird zum Identifikations- bzw. Wohlfühlfaktor, denn einige haben sich umgezogen und tragen nun einen klassischen Kaftan mit offenen Barfuß-Sandaletten (obwohl die „An-Bord-Temperatur“ nur 18 Grad beträgt). Mit Rücksicht auf die muslimischen Passagiere, bleibt die Hauptbar in dieser Zeit geschlossen. Beim Beobachten der Szenerie wähnt man sich fast selbst in Marokko.

Mitunter erfolgen diverse Durchsagen in Italienisch, Französisch, Arabisch und Englisch. Die Qualität der Lautsprecher läßt wie anderen Orts auch allerdings sehr zu wünschen übrig. Als der Gong zum Abendbuffet ertönt, folgen ausschließlich die wenigen europäischen Reisenden der Aufforderung. Ich bevorzuge immer das a la Carte Restaurant, das auch Halal-Gerichte zu vernünftigen Preisen anbietet. Die Mehrzahl, also die arabischen Gäste an Bord, bleiben einem Restaurant jedoch fern. Ganz unter sich verzehren sie – meist jeder für sich bzw. im Familienkreis – ihre vor der Abreise im Spezialitäten Shop der Abfertigungshalle gekauften Speisen und Getränke.

Nur einmal komme ich kurz mit einem marokkanischen älteren Ehepaar in’s Gespräch. Das Maghreb-Französisch klingt hart und etwas gewöhnungsbedürftig, aber mein Französisch klingt in ihren Ohren sicher auch seltsam. Der Mann erzählt begeistert vom Oktoberfest und der Umstand, daß ich nicht weit vom Elsaß wohne, läßt ihn von seiner (alliierten) Militärzeit nahe Straßburg berichten. Oft sei er über die „Passerelle bei Kehl“ auch nach Deutschland gegangen.

Ansonsten ergeben sich kaum Berührungspunkte. Die Kulturkreise bleiben unter sich und pflegen traditionelle Gewohnheiten, obwohl sie sich im selben Dunstkreis bewegen. Vielleicht schafft gerade dieser Habitus Vertrautheit und Sicherheit auf Auslandsreisen. Ich hingegen suche und ergreife gerne Gelegenheit neue Erfahrungen zu machen. Im Shop erstehe ich ein orientalisches Raumduftspray. Die verschiedenen angebotenen Duftnoten empfinde ich als recht intensiv, was angesichts der sonstigen strengeren Gerüche aber typisch und opportun erscheint. Ein spezieller Duft als Reisererinnerung.

Ansonsten erkennt man auch auf Fähren die meisten Urlaubsreisenden schon aus der Entfernung; insbesondere uns Deutsche. Sie ziehen bevorzugt ihr Zuhause hinter sich her, das vollgepackt ist mit heimischen Gegenständen und Lebensmitteln. Sie reden von Freiheit und Kulturaustausch, wollen sich im Grunde aber nur begrenzt bis gar nicht auf andere Kulturen einlassen oder besser verlassen; Neuentdeckungen allenfalls wohl dosiert erleben, aber „sachkundig“ davon nach Rückkehr berichten. So sitzen sie bei strahlendem Sonnenschein neben einer pittoresken Strandbude oder der Pooldeckbar mit riesigen Rucksäcken, pellen ihr Ei und nuckeln an mehrfach TÜV-geprüften Trinkflaschen. Dabei sind die Drinks und der Espresso neben an frischer und nicht teurer, als der Tütenkaffee und der Biosaft, den sie von zu Hause mitgebracht haben. Aber das werden sie nie erfahren. Und sie werden auch nicht das Innenleben von (landestypischen) Gebäuden entdecken und erst recht nicht Gespräche mit ihren lokalen Gastgebern führen und Meinungen oder gar Adressen austauschen.

Fazit: Fähre ahoi, auch für Hundefreunde

Ein identisches Ambiente wird offensichtlich nicht nur unterschiedlich genutzt, sondern vor allem auch wahrgenommen. Die Berührungsschnittmenge der Reisenden geht gegen Null. Aber im Gegensatz zur üblichen Kreuzfahrt mit Dauerbespaßung und stereotyp organisiertem Ausflugsprogramm, können Linienfähren eine brauchbare Alternative im Hinblick auf individuelles Reisen mit Raum für aufschlußreiche, inspirierende Momente sein. Allein im westlichen Mittelmeer sind ex Genua, Savona und Sete verschiedene Fährunternehmen auf Routen nach Sardinien, Korsika, Civitavecchia/ Rom, Algerien, Tunesien und Sizilien unterwegs. Zudem nehmen die meisten Fähren auch Hunde und sonstige Haustiere ganz unkompliziert mit. Kein „Ködibert“ muß im Zwinger oder Hundekörbchen bleiben. Es gibt für sie sogar spezielle Kabinentypen und – wie könnte es anders sein – ein separates Auslaufdeck – wuff!

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