Gäbe es eine PISA-Studie für das modische Erscheinungsbild – ich befürchte – da würde Deutschland im internationalen Vergleich nicht gut abschneiden. Oder noch schlimmer: auf einem der hintersten Plätze landen. Dabei liegt mir völlig fern, über irgendwen irgendwie herzuziehen, aber was wahr ist, muss wahr bleiben (dürfen). Es ist schlicht und einfach eine Zustandsbeschreibung. Resultat meiner Beobachtungen. Egal ob im Restaurant, bei einem Konzert oder auf einem Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge, das Ergebnis aller modischen Bestrebungen ist am Ende immer dasselbe, in einem Wort, ein Desaster.
Geschmack kann man nicht kaufen
Das Verrückte ist, es wird immer schlimmer. Spätestens seit Corona ist das Erscheinungsbild scheinbar in Vergessenheit geraten, denn man sieht immer mehr Menschen, denen erklärtermaßen völlig egal ist, was sie anhaben. Schade ist das. Ich komme aus einer Zeit, wo gewisse textile Standards galten, also so stillschweigende Verabredungen unter Bürgern, was man wo anzieht, wenn man den privaten Bereich verlässt. Jetzt schlabbert man einfach so raus, wie es bei der Mehrheit der Leute draußen auf der Straße ist. Die Lust auf Bequemkleider hat sich durchgesetzt, warum auch immer. Es ist verrückt. Da rennen die Leute zum Jahresbeginn haufenweise in Fitnessstudios, fangen die X-te Diät an, wollen ihr neues Me finden und hängen dann ein ausgeleiertes T-Shirt in Kombi mit einer Cargohose mit Tunnelzug über ihren neu gestählten (?) Body – denn Hauptsache nix zwickt. Das ist das neue sportlich und fertig ist der Lack. Apropos Lack. Ich dachte mal, wir leben in einer Zeit des absolutes Körperkults, wo total übertrieben an allem gebastelt wird, was nicht perfekt ist – verkehrte Welt, oder?
Modebewusstsein ist nicht gefragt
Es mag verrückt klingen, aber ich will gar nicht viel. Ich will mir morgens beim Anziehen ein klein wenig Mühe geben und nicht mal, um aus der daherloddernden Masse herauszustechen, sondern um mich auszudrücken. Ich liebe es, meiner Stimmung oder dem Anlass meine modische Stimme zu geben, mich sozusagen in einen modischen Flirt mit meiner Umwelt zu begeben. Es geht mir nicht um Modeextremismus oder ein Schaulaufen von Trends der Stunde, sondern um Achtung und Respekt. Mir selbst gegenüber, aber natürlich auch gegenüber meinen Mitmenschen, Gastgebern oder Veranstaltern. Und warum sollte man sich denn schlecht anziehen, wenn man sich auch gut anziehen kann? Weil es Wichtigeres gibt oder Äußerlichkeiten nicht zählen? Einverstanden, es gibt Wichtigeres. Aber das kann kein Grund dafür sein, Mode für tot zu erklären und Schlabber überall zu billigen.
Ich glaube, es war nie einfacher, sich mit wenig Geld super anzuziehen, modische Statements zu setzen und individuelle, trendige Looks zu kreieren, in denen mitschwingt, dass es ein Anspruch sein darf, auch mal besonders gut auszusehen.