Beim Eintritt umfangen die Besucher*innen Dunkelheit und sanfte Klänge; dann unvermittelt öffnen sich Horizonte und es entwickeln sich regelrechte Motivexplosionen mit Goldrauscheffekt auf allen Ebenen. Der Port des Lumières in Hamburg unweit der Speicherstadt im Überseequartier gelegen, ist ein Zentrum der digitalen und immersiven Kunst und wahrlich mehr als ein Museum. Die Ausstellung titelt zu recht mit „Erlebe Kunst wie nie zuvor“, d.h. Kunst nicht stumm hinter Glas oder im Rahmen zu bestaunen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes in sie einzutauchen bis einem fast schwindelig wird.

Im Focus stehen dabei die Künstler Gustav Klimt (1862-1918) und Friedensreich Hundertwasser (1928-2000). Neben Liebermann, Gaudi und Gauguin, gehören die beiden österreichischen Künstler der sog. Wiener Szene zu meinen absoluten Favoriten.

Wien, Wien nur Du allein

Im kaiserlichen Wien des späten 19. Jahrhunderts ist Gustav KLIMT einer der wichtigsten dekorativen Maler der prächtigen Ringstraßen-Gebäude. Er ist ferner Präsident der „Wiener Secession“, einer Strömung, die sich von der akademischen Kunst lösen und Wegbereiter für eine modernere Malerei sein will. Die Farbe Gold respektive die Verwendung von reichlich Blattgold und die typischen dekorativen Motive symbolisieren diese künstlerische Revolution.

Die immersive Ausstellung zeigt vorwiegend Werke, die das Schaffen von Klimt repräsentieren und denen er seine Berühmtheit verdankt: nämlich seine „Goldene Periode“ (1901-1910), seine vom Jugendstil geprägten Frauen-Portraits (u.a. das Bildnis der Adele Bloch-Bauer und „Der Kuss“) und Landschaften. Ebenso zeigt die Ausstellung Künstler der Wiener Szene, die in Folge stark von Klimt inspiriert wurden, wie etwa das Werk von Egon Schiele.

Als Maler und Architekt ist auch HUNDERTWASSER (bürgerlicher Name Friedrich Stowasser) Erbe der Wiener Secession. Er verkörpert ebenfalls einen neuen künstlerisch expressiven Stil, der u.a. von Klimts revolutionären Denkansätzen geprägt ist. Vor allem aber ist er bekannt für seine bunten, leuchtenden Farben, die Verwendung von Spiralen und vergoldeten Zwiebeltürmen, sowie für seine unkonventionellen, organischen BauformenSeine Architektur zeichnet sich durch unregelmäßige Fenster-Elemente, unebene Böden und begrünte Dachflächen aus, wobei er stets auf die Harmonie mit der umgebenen Natur achtet. Sog. „Hundertwasser-Bauten“ findet man z.B. in der Waldspirale in Darmstadt, der Grünen Zitadelle von Magdeburg und natürlich in Wien. 

 

 

Wie Klimt und Schiele gibt der Künstler die Perspektive zugunsten einer Abfolge von Ebenen auf und ähnlich wie Gaudi scheinen ihm gerade Linien ein Graus, ja dem Menschen als gerade zu abträglich bzw. dem Leben und der Schöpfung als lebensfremd.

All diese künstlerischen Merkmale entfalten sich dynamisch auf den imposanten Fassaden des Port des Lumières im Rhythmus der Musik, wodurch der Betrachter unwillkürlich Teil der geschaffenen Werke wird.

und ein Stückchen digitale Wissenschaft

Die digitale Präsentation wird – abgesehen von einer kleinen Hommage an den Hamburger Hafen – ergänzt durch das „Projekt Journey“, die dritte Komponente der Ausstellung. Als Preisträger des „Immersiv Art Festivals“ von 2019 zeigt das türkische Kollektiv NOHLAB in einer experimentellen Reise die Entstehung von Photonen, einem der primären Elemente des Lichts. Sie beschreibt den Prozess der Umwandlung von Photonen in elektrische Signale, also in eine für das menschliche Gehirn wahrnehmbare Form.

Laut Angaben des Veranstalters ist NOHLAB ein Studio, das sich auf die Produktion von interdisziplinären Experimenten rund um Kunst, Design und Technologie spezialisiert hat. Es stellt eine Verbindung zwischen dem Digitalen und unserer Realität her und hinterfragt dabei gleichzeitig die Beziehung zwischen Technologie, Kunst und Design.

Immersive Kunst oder sonstige Welten erleben

Hier schließt sich der Kreis zu der immersiven Darstellung in Räumen. Die noch relativ neue Technik, in der digitale Bilder mit der realen Umgebung verschmelzen und so ein intensives Erlebnis schaffen, nutzt meist multimediale Techniken, wie 360° Projektionen, Licht, Sound und teils sogar haptische Effekte. Meines Erachtens ein wunderbares Medium, um auch Kinder und Jugendliche an Kunst heranzuführen oder dem größten Kunstmuffel ein anerkennendes Lächeln zu entlocken. Diesem „Zauber in 5D“ kann sich niemand entziehen und die Ticketpreise sind mit 18.- pro Erwachsenem und Sondertarifen für Jugendliche und Familien durchaus erschwinglich.

Ach ja, warum 5D? Diese, meine sehr persönliche Wortschöpfung, basiert auf den drei bekannten Dimensionen Länge, Breite und Höhe ergänzt um die fließende Dynamik und die einhergehende Musik. Die Wirkung ist m.E. angenehmer und realer als jede 3D-Brille und man möchte am liebsten in den „Wald“ hineinspazieren.

 

Wie sehr die Besucher*innen diese Halle auf zwei Deck-Ebenen genießen, kann man nicht nur an der Verweildauer von weit über einer Stunde (ein Durchlauf dauert ca. 45 Minuten und die Zeit vergeht wie im Flug) festmachen, sondern auch daran, wie sie die ineinander fließenden Bilder erleben. Viele nehmen dafür auf den bequemen runden Sitzmöbeln oder maritimen Pollern Platz, andere drehen sich stehend mit ihren Smartphones im Kreis oder haben sich völlig entspannt und fasziniert auf einem der Sitzsäcken niedergelassen, um der beeindruckenden Dramaturgie/ Szenerie im Liegen zu folgen und sich berauschen zu lassen. Sie alle werden Teil der gezeigten Werke. Geradezu Operetten gleich tönen Walzer zu den sich aufbauenden und verschwindenden Bildwerken … „Deine Lippen sie küssen so heiß“ (aus der Operette Giudita von Lehar), aber auch mystische Sphärenmelodien oder gewaltige Wagnerklänge.

Am Ende wartet nicht nur ein Shop und ein Selfie-Room, zur Show gibt es übrigens auch eine begleitende App, die Auskünfte und Anekdoten über die Werke und ihre Zeit liefert.

Mein Fazit

Hier hat der künstlerische Leiter Gianfranco Iannuzzi in Verbindung mit den Videoanimationen von Cutback und Culturespaces Studio® ganze Arbeit geleistet. BRAVO – sagt hier jemand, der schon viel gesehen hat und mit Komplimenten eher sparsam umgeht. Aber man sagt auch: Schönheit liegt im Auge des Betrachters und freilich kann und sollte man nur über etwas urteilen, das man auch selbst erfahren hat.

 

Anmerkung: Artikel enthält neben Werbung auch allgemein relevante Information zum Thema; Fotos PFritz
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