Georgien wie es wirklich ist und nicht wie manche Medien uns Glauben machen wollen  

Alle waren sie hier: die Türken, die Osmanen, die Russen und selbst Napoleon. Der mongolische Eroberer Tamerlan (auch Timur genannt) versuchte es im 15. Jahrhundert gleich sieben Mal. Doch fast immer schaffte es das kleine, überwiegend christlich geprägte Land im Kaukasus seine Selbständigkeit zu wahren. Die große Mehrheit seiner Bewohner will bis heute einfach in Ruhe gelassen werden und weiterhin die eigene Sprache und Schrift pflegen. D.h. sie wollen weder erneut von Rußland vereinnahmt, noch in ein westliches Bündnis gezwungen werden. Kurz: Die Rede ist von GEORGIEN.

LAGE UND LEBEN

In Frieden und relativem Wohlstand leben ist in dieser Region zwischen Schwarzmeerküste und Kaukasus einfacher gesagt, als getan; grenzt das Land doch an die Türkei, Azerbaidschan, Armenien und Rußland. So sind es von der georgischen Region Swanetien/ Tuchetien bzw. Stepansminda im Nordosten auf der sog. Heerstraße bis ins russische Wladikavkas gerade mal 50 Kilometer. Ab Achalziche in Richtung Türkei (Westen) sind es gar nur 20 Kilometer. Autobahnschilder nahe Tiflis weisen 360 Kilometer nach Yerewan und 650 nach Baku am Kaspischen Meer aus. Für den Güterfernverkehr gibt es gar Angaben bis nach Teheran; was sind schon 1200 Kilometer. Leider ist das Verhältnis zu Azerbaidschan seit einiger Zeit etwas angespannt und eine Einreise von Georgien aus nur auf dem Luftweg möglich. Einzig LKWs im Transitverkehr aus Azerbaidschan dürfen Georgien hin und zurück passieren. Die Grenzen zu Armenien sind jederzeit für alle offen.

70 Jahre lang war Georgien unter sowjetischer Herrschaft. 1991 erlangte es nach 1918 zum zweiten Mal seine Unabhängigkeit. An jedem strategischen Punkt weht daher stolz die rot-weiße georgische Flagge mit den fünf Kreuzen. Ansonsten sieht man Kreuze auf jeder Paßhöhe, an geschichtsträchtigen Orten und auf den unzähligen Kirchen. Die Landeshymne trägt nicht umsonst den Titel „Freiheit“ und man ist auf die Stabilität der Landeswährung GEL bzw. des Georgischen Lari zurecht stolz (Verhältnis zum EURO 3:1). Und ein besonders schöner Brauch der meist sehr freundlichen Menschen ist es, sich als Dank und bei der Verabschiedung nicht die Hand zu schütteln, sondern die rechte Hand auf das Herz zu legen und dabei eine leichte Verbeugung der Ehrerbietung zu machen.

LAND UND LEUTE

Das Land bietet alle Klimazonen: Von tropischen Gestaden am Schwarzen Meer zwischen Batumi (dt. Partnerstadt Rostock) und Kobulethi, über subtropisch-gemäßigte Zonen zwischen Kutaisi und Tiflis, bis hin zu fast dauerhaft schneebedeckten Bergen im Großen und Kleinen Kaukasus mit Skigebieten wie Gudauri und Bakuriani. Wichtig für die Landwirtschaft sind Georgiens zahlreiche Flüsse. Mag es – abgesehen von Mangan- und Kohlevorkommen sowie etwas Erdöl – kaum Bodenschätze haben, so mangelt es nicht am lebenswichtigen Wasser.

LAND DER GEGENSÄTZE

Apropos Verkehr: Was haben Belgien und Georgien gemeinsam? Beide haben beleuchtete Autobahnen. Und noch in der Nacht auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum von Kutaissi fällt einerseits – ähnlich Mexiko – der große infrastrukturelle Unterschied zwischen Stadt und Land auf, andererseits findet man selbst Hightec in der Provinz. Einige Ampeln zeigen digital die Sekundenanzeige in Grün, wie lange noch gefahren werden darf und in Rot, wie lange man noch warten muß.

Außerhalb von Tiflis empfiehlt es sich selbst für erfahrene Reisende einen Fahrer oder mindestens Lokalmatadoren an seiner Seite zu haben, denn  Straßenbeläge, Fahrweisen und (nicht vorhandene) Hinweisschilder sorgen manchmal für Überraschungen. Mal stehen Kühe mitten auf der Straße oder Radfahrer nutzen den Seitenstreifen der Autobahn, etc. Wir haben Niko von Enjoy-Georgia an unserer Seite, der passabel Deutsch spricht und mit einem Lächeln so ziemlich alles möglich macht. Er ist in der Gegend aufgewachsen und hat seine Militärzeit an der türkischen Grenze verbracht; er kennt jeden Stein und man kennt ihn.

TAG 1 – Grusinischer Tee, eine orientalische Festung, eine verlassene  Synagoge und ein Kurstädtchen 

Regionen wie Abchasien, Gurien, Adscharien oder Kachetien, die wir durchfahren, klingen wie aus einem orientalischen Märchenbuch. Schon der erste morgentliche Blick auf den Rioni in Kutaissi ist spektakulär und das kleine Hotel eine Architekturoase. Etwas flußaufwärts werden Canyoning und Rafting-Touren angeboten. Bevor es Richtung Achalziche geht, steht noch ein kleiner Abstecher zu einer Teeplantage an, obwohl die Pflücksaison gerade zu Ende gegangen ist. Einst versorgte grusinischer Tee einen Großteil der Sowjetunion. Heute erlebt dieser Wirtschaftszweig eine Renaissance, wenngleich die Vermarktung der „Renegade Plantage“ – man mag es kaum glauben – vom Baltikum aus gesteuert wird.  Quasi im Schnelldurchlauf erklärt  Maria, welche Teesorten (Schwarz, Grün, Oolong und Weiß) kultiviert werden und wie deren Verarbeitung abläuft. Einige der Teebüsche liegen gleich gegenüber idyllisch gut beschattet einen Abhang hinunter. Gepflückt werden stets nur die oberen drei Blätter eines Triebes. Immerhin 3000 Kilogramm Tee werden ab hier pro Jahr  in alle Welt hergestellt.

Grüntee wird durch Dämpfen oder Rösten nicht oxidiert, was seine grüne Farbe und frische pflanzliche Note bewahrt. Schwarzer Tee wird nach dem Welken und Rollen vollständig oxidert, wodurch er seine dunkle Farbe und seinen kräftigen, leicht malzigen Geschmack erhält, usw.

Mit einer Packung „Berry Breeze“ im Gepäck und dem Stopp an einer kleinen Kapelle im Baumstamm, geht es nun in Richtung Achalziche. Baubeginn der Festung bzw. des Rabat von Achalziche war bereits im 9. Jh. Jedoch verfiel das Ensemble nach der Nutzung als Militärstützpunkt nach dem Ende der Sowjetunion und wurde erst kürzlich wieder zu einem Kleinod restauriert. Die Wandelgänge, Wasserläufe, Gärten, ein Hotel mit Restaurant und diverse Turmbauten laden zum Träumen ein und man meint das Shehrazade hier dem Sultan ihre Geschichten erzählt hat.

Nur unweit der gewaltigen Anlage findet man im Gassengewirr die Synagoge. Gegen eine kleine Spende erhalten wir Zugang zu dem gepflegten Gebäude, das seit einiger Zeit ohne Gemeinde dasteht. Alle sind nach Israel ausgewandert und nur ein unermütlicher junger Mann, dessen Großvater und Vater hier Rabbis waren, bewahrt das Anwesen. Ihr größter Schatz sind die originalen fast 500 Jahre alten Thorarollen.

Leider hat der Tag nur 24 Stunden und auf der Weiterfahrt wartet z.B. Bordjomi, das Baden-Baden Georgiens. Hier kurte einst nicht nur der Schah von Persien, sondern auch die russische Hautevolee. Das Wasser der Heilquelle ist stark schwefelhaltig und riecht etwas gewöhnungsbedürftig. Aber was soll’s, wenn’s schön und gesund macht. Der Kurort schlängelt sich im schattigen Tal die Kura entlang, während auf den Höhen nur 30 Kilometer entfernt im Winter der Skibetrieb läuft. Bakuriani ist – gemeinsam mit Gudauri in Swanetien – einer der ältesten Wintersportorte des Landes. Hier fanden erst kürzlich ein Ski-Weltcup (Buckelpiste) und Olympische Jugendspiele statt. Hinauf fährt auch eine pittoreske Schmalspurbahn – Momente wie aus der Zeit gefallen.

Fahrer Niko isst „Chantschapuri„, also Hefepfannkuchen mit verschiedenen Füllungen in der Tonne gebacken für sein Leben gern (sogar lieber als Schaschlik und gebratene Plize) und natürlich kennt er die Hotspots, wo sie am besten schmecken. Zuvor hatten wir am Straßenrand schon die süße Variante mit Rosinen probiert, die in der „Tonne“, einem Holzkohle-Backofen an der Wand klebend, gebacken werden. Ein Genuß zum Spottpreis! Khinkali, georgische Teigtaschen sind übrigens auch extrem saftig und lecker. Man schneidet sie nicht, man hält sie am Strunk, beißt hinein und saugt sie quasi aus.

Schade, daß es zur alten Bergbaustadt Chiatura (u.a. Manganerzabbau) und der Katskhi- Säule (wo seit Jahren ein Mönch lebt) auf der anderen Talseite der E60 nicht mehr zu schaffen war. Diese Spots und die Höhlenstadt Vardzia kommen beim nächsten Mal dran.

An dieser Stelle noch ein Wort zu Distanzen und zum Verkehr: Man sollte nie nur nach der Kilometerzahl fragen (Benzin kostet rund 1.- EURO pro Liter), sondern eher nach der voraussichtlichen Fahrtdauer. Je mehr man sich der Hauptstadt Tiflis (1,2 Mio Einwohner) nähert, desto dichter wird der Verkehr. Ja, es staut sogar noch kilometerlang nach 20.00 Uhr auf vielen Durchgangsstraßen, obwohl diese mehrspurig und in gutem Zustand sind. Nach 12 Stunden erreichen wir schließlich unser Quartier im Betlemi-Viertel, dem ältesten Stadtteil mit engen Gassen und am Hang gelegen. Gastgeberin Natalia vom „Old Betlemi Hotel“ offeriert zur Entspannung eine kleine Weinauswahl als Willkommensgruß. Emsig saust sie umher, gibt Tipps und hilft ihren Gästen wo sie kann. Am liebsten plaudert sie in Englisch oder Russisch. Ein Großteil der Bevölkerung spricht der Herkunft nach neben Georgisch immer noch Russisch, was auch akzeptiert wird, obwohl der Konflikt um Abchasien und Südossetien bereits seit Jahren schwelt. Auch viele Straßenschilder sind zweisprachig, also in Mchedruli und Kyrillisch geschrieben.

AUF EIN OFFENES WORT IN PUNCTO POLITIK

Es ist nämlich keineswegs so, daß die große Mehrheit der Georgier unbedingt der NATO oder gar der EU beitreten möchte, wie es der Westen in TV und Presse gerne kolportiert.

Erst kürzlich hat die Bundesregierung Kooperationen mit der georgischen Regierung in Millionenhöhe gestoppt – alles nur eine Frage des nötigen Wohlverhaltens? Während den langen Fahrten haben wir mit unseren Begleitern sowie Hotel-Gastgebern auch ganz offen über politische Tendenzen gesprochen. Sie alle wehren sich gegen die Behauptung von Wahlfälschungen und weisen daraufhin, daß keiner der neutralen Wahlbeobachter eine Unregelmäßigkeit beanstandet habe. Vielmehr stehe die weitaus größte Mehrheit der Georgier (er schätzt 70%) hinter der aktuell gewählten Regierung, ganz ohne Zwang oder Bevormundung.

Wenn zu lesen ist, daß die Bundesregierung die Kooperation mit der georgischen Regierung stoppt, stimmt das nachdenklich und heißt „Öl ins Feuer“ zu gießen. Da heißt es: „Damit zieht das Bundesentwicklungsministerium eine weitere Konsequenz aus der Abkehr der georgischen Regierung von einer EU-Annäherung und dem andauernden gewaltsamen Vorgehen gegen die pro-europäischen Massendemonstrationen“. Welche Massen? Ich war zwei Tage nach den Kommunalwahlen in Tiflis und habe zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendwelche Demonstrationen, Protestplakate, Absperrungen oder Polizeiaufgebote gesehen oder Leute besorgt oder unzufrieden über die politische Situation reden hören. Außerhalb von Tiflis ticken die Uhren sowieso anders und Politik ist kaum ein Thema. Was aber einer unserer Begleiter (zurecht empört) zu berichten wußte: der Deutsche Botschafter in Tiflis habe sich bei Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung engagiert, weil ihm das Wahlergebnis wohl nicht gefalle. Wie bitte? Auch ein Botschafter ist nur Gast in einem Land und unterliegt einem gewissen Neutralitätsgebot. Ohne Worte!

TAG 2 – In und rundum Tiflis, Sowjeterbe und ein Hauch von Orient 

Obwohl schon Anfang Oktober, lacht auch am nächsten Tag die Sonne und mittags werden schnell Temperaturen um die 25 Grad erreicht. Die Stadtrundfahrt durch Tiflis zeigt den Spagat zwischen Tradition und Moderne wie im Schnelldurchlauf. Einerseits Gebäude im klassischen Stil mit orientalischen Touch wie das Rathaus, Parlamentsgebäude, alte deutsche Kaufmannshäuser (meist sog. kaukasien-deutsche aus Schwaben um 1760 und ab 1918), die Oper, das Goethe-Institut sowie Plätze mit heroischen Denkmälern, aber auch Einkauszentren hinter Glasfassaden, unendliche Hochhausreihen und Graffiti-Fabrikhallen, etc. Desweiteren die elegant geschwungene Freiheits-Brücke (Architekt Michele De Lucchi) und das Justizgebäude am Kura-Fluß, das wie eine Pilzkolonie aussieht und natürlich auch das berühmte Dynamo-Fußball-Stadion.

Auf ausdrücklichen Wunsch hin geht es zu einem baulichen Kuriosum aus der Sowjetzeit, d.h. zu drei durch je eine Stahlbrücke im 13. Stock miteinander verbundenen Gebäuden. Dort dreht gerade eine Filmcrew mit einem farbigen Protagonisten einen Werbefilm für Saudi-Arabien. Willkommen in der schönen globalisierten Welt! Die Fahrstuhlnutzung kostet pro Person 20 Tetri, umgerechnet also 0,07 Euro (Lari heißt übersetzt übrigens Schatz, die Untereinheit Tetri steht für eine einst weiße Silbermünze). Unten angekommen empfängt uns vor der Fahrstuhltür ein schwarz gekleideter, weiblicher Racheengel aus der „guten alten Zeit“, denn unser Begleiter dachte nur pro Fahrt, nicht pro Person zahlen zu müssen. Offensichtlich ist eine Kontrollkamera in der Kabine installiert und die Nachzahlung schnell geleistet.

Natürlich geht es nun hinauf auf den Keeni-Berg, wo sich die „Chroniken von Georgien“ befinden. Das stählerne Monument, das mittels historischer Figuren wie Königin Tamar und König Dawit IV (er befreite Georgien von den türkischen Seldschuken) die Geschichte des Landes erzählt. Allein schon die Aussicht über die Stadt bzw. den „Schildkröten-See“ ist atemberaubend. Georgiens berühmter Dichter Schota Rustaweli schuf auf Geheiß von Königin Tamar im 12. Jh. Werke, die inzwischen als Weltdokumentenerbe anerkannt sind.

Nachdem der Stadtverkehr schon wieder an allen Ecken und Enden staut, ist es besser das Auto vor den Orbeliani-Bädern stehen zu lassen und zu Fuß durch die Altstadt zu spazieren. Hier vor der Kulisse des Badehauses aus 1001-Nacht schmeckt der Mokka besonders gut und läßt sich für den Abend noch schnell eine private Bade-Suite reservieren – zum Glück war die „Pushkin-Suite“ um 18.30 Uhr noch frei.

Historische Holzbalkone, (Teppich)Bazare und kreative Lokalitäten wechseln mit Hinterhöfen ab, unser Ziel aber bleibt der 2010 von Rezo Gabriadze erbaute schiefe Uhrturm in der Fußgängerzone, wo Straßenmusikanten für romantische Stimmung sorgen. Auf dem Rückweg zum Bäderviertel kommen wir noch an der Deutschen Botschaft und dem Sitz des Patriarchen, also dem geistlichen Oberhaupt der georgisch-orthodoxen Kirche vorbei.

Nun haben wir uns eine Verschnaufpause in historischen Mauern verdient. 1893 wurde das ursprüngliche Orbeliani-Bad mit der Fassade einer persischen Madrassa (seit dem 10. Jh. die Bezeichnung für eine islamische Bildungseinrichtung wie man sie auch in Samarkant oder Bagdad findet) erbaut. Das Bad war zu allen Zeiten über Jahrhunderte ein wichtiger Trefftpunkt für Männer und Frauen – getrennt versteht sich. So schreibt ein gewisser Grishashvili, daß selbst Heiratsvermittler hier ihre „Geschäfte“ machten. Schon Marco Polo soll auf seinen Reisen im 13 Jh. hier vorbei gekommen sein. Vor allem aber haben die Schriftsteller Pushkin und Dumas die Bäder als Jungbrunnen gepriesen. Seit Jahrhunderten bilden die Bäder des „Abanotubani-Viertel“ das Herz der Stadt.

Das schwefelhaltige Wasser hat eine Temperatur um die 40 Grad, da heißt es langsam eintauchen und auf den Kreislauf achten. Wer möchte, kann sich auch gleich noch einen „Tellak“ oder „Meqise“, einen orientalischen Bademeister zur Suite mitbuchen. In 15 Minuten wird in Hammam-Atmosphäre mit Seifensack und Wollhandschuh dann kräftig gerubbelt, geknetet und zu guterletzt alles schwungvoll mit einem Schwall aus dem Wassereimer abgespült. Die Eintrittspreise liegen je nach Größe und Ausstattung der Bade-Suiten zwischen 40 und 200 Lari; die Massage kostet 30 Lari extra. In der abendlichen Beleuchtung erscheint das Ambiente samt benachbarter Kala-Schlucht noch exotischer. Hier könnte man ewig sitzen – Tiflis, eine Stadt zwischen Europa und Orient.

TAG 3 – Seidenraupen, Wein, Erdöl und ein einsamer Svanenturm

Nach dem Blick in eine Metro-Station geht es am nächsten Morgen wahrlich  tiefen gereinigt in Richtung Kachetien. Genauer gesagt in das knapp 100 Kilometer entfernte Örtchen Kvemo Magharo, wo Lamara Bejaschvili hinter einer rostigen Eisentür eine kleine Seidenraupenfarm betreibt.

Tiflis war bereits im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Seidenproduktion und -verarbeitung für den Kaukasus und Russland. Die Seidenproduktion war ein wichtiger Bestandteil der alten Seidenstraße, da Georgien als Transitpunkt diente.

Der Prozess beginnt mit der Ausbrütung der millimeter kleinen Eier (lagert man sie kühl, entwickeln sie sich nicht), gefolgt von der Fütterung der schlüpfenden Raupen mit Maulbeerblättern, bis sie nach etwa 30-35 Tagen ihren Kokon spinnen. Dieser Kokon wird dann zu Seide verarbeitet. Seidenraupen brauchen eine Mindesttemperatur von 15 Grad C, besser 25 um aktiv zu werden. Bei guter Futterlage wachsen sie dann schnell heran und verpuppen sich. Bevor sich die Raupe verpuppt, spinnt sie erst einmal ein Seidenfadengewirr zwischen Grashalmen und Zweigen bzw. verankert die Kokons. Während ihrer Entwicklung häuten sich die Raupen 4-6 mal. Nach etwa einem Monat hören die Raupen auf zu fressen und beginnen mit der Umspinnung des Kokons; bis dahin haben sie das 40.000-fache ihres Gewichts gefressen. Der Spinnprozess selbst dauert etwa 3-4 Tage. Ein einzelnes Kokonfilament kann bis zu 1000 Meter lang sein. Um die Seide zu gewinnen, werden die Kokons meist lebend gekocht (dabei riecht es leicht säuerlich), um den Seidenfaden zu lösen bzw. einen Anfang zu finden. Anschließend werden die Filamente verschiedener Kokons zu einem stärkeren Faden zusammengehaspelt. Für die Herstellung eines Kilogramms Rohseide werden etwa 10-11 Kilogramm Kokons benötigt. Für die Fertigung eines Seidenkleides werden je nach Größe und Design also mithin Tausende von Kokons benötigt. Echte Seide hat im Gegensatz zu Kunstseide einen eher matten Glanz und fühlt sich zwar zart, aber auch griffig und nicht glatt an. Echte Seide knittert überdies nur wenig und fühlt sich auf der Haut kühl an. Und: Seide ist – bei einer Dehnbarkeit von 15% –  im Verhältnis zu seiner Dicke reißfester als Stahl.

Lamara selbst beherrscht zwar das Spinnen, hat aber keine Webeinrichtung. Höchste Expertise in der Seidenweberei hat z.B. Usbekistan. Außerdem nutzt sie abgestorbene Larven, die u.a. reich an Chitin, Fibrin und Proteinen sind, auch zur Produktion von Ölen für kosmetische und medizinische Zwecke. Sie brennt für ihre Sache und könnte endlos weitere Erklärungen abgeben. Sie spricht allerdings nur Georgisch und so schnell, daß Begleiter Alex mit der Übersetzung kaum hinterher kommt. Zum Abschied schenkt Lamara mir noch zwei Granatäpfel von dem sich in der Sonne wiegenden Baum am Wegesrand.

Weiter zum noch aktiven Nonnenkloster Bodbe, wo die Heilige Nino begraben liegt. Eine wunderschöne Anlage, die nur noch von der Aussicht über das Alasani-Tal und auf den Großen Kaukasus (einige Gipfel über 5.000 Meter Höhe, höchster Punkt im Elbrus mit 5.620 Meter) mit seinen Schneekoppen getoppt wird. Nur zwei Kilometer weiter liegt Sighnaghi, das inzwischen sehr touristische Liebesstädtchen, das von einer riesigen noch intakten Stadtmauer umgeben ist und als Hauptstadt des Weines gilt. Laut einer Forschergruppe des Karlsruher Instituts für Technologie begann der Ursprung des Weinbaus in der Welt vor rund 9.000 Jahren im südlichen Kaukasus, also auch in Georgien. Analysen von Traubengenen verweisen sogar auf ein Alter von 11.000 Jahren.

 

In Georgien werden Weiß- und Rotweine bis heute fast ausschließlich nach alter Tradition nicht in Fässern, sondern in sog. Qvevris vergoren bzw. gelagert. Unter einem Qvevri versteht man eine im Boden vergrabene, handgefertigte Tonamphore, die nach dem Brennen zur Abdichtung innen mit Bienenwachs ausgekleidet ist und zwischen 200 bis  2.000 Litern fassen kann. Durch seine ovale, nach unten spitz zulaufende Form tut das Gefäß fast automatisch seine Arbeit beim Gären, d.h. am Boden setzen sich Schalen, Stiele und Kerne ab, denn die Trauben werden vorab nicht vom Hängel getrennt. Das Säubern der Erdamphoren ist freilich eine mühsame, sehr spezielle Angelegenheit, die immer noch manuell mittels einer Art „Rindenkratzer“ von Menschenhand erledigt wird. Das Eingraben in die Erde gewährleistet eine konstante Temperatur, wie sie für den Reifeprozeß wichtig ist. 

In Georgien werden in nahezu allen Landesteil Weinreben kultiviert; vor allem in Kachetien im Tal des Alasani-Flusses. Bekannte Gegenden mit geschütztem Ursprung sind z.B. Tsinandali, Kvanchkara, Mukuzani sowie Kindsmaruli. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Georgien 1991 seine Unabhängigkeit erlangte, begann der Wandel zu vermehrtem qualitätsfokussiertem Weinbau. Heute werden die Weine Georgiens rund um die Welt hochgeschätzt, ja sind sogar trendy. Selbst in Deutschland gibt es mittlerweile Winzer, die sich mit der traditionellen Weinherstellung in Qvevris beschäftigen, also der Reifung in den besagten ovalen in der Erde vergrabenen (handgefertigten) Tonkrügen. Die Resultate können sich sehen lassen. Freilich haben die Weine auch aufgrund völlig anderer Bodenbeschaffenheit und anderen Rebsorten (wie z.B. Tsolikouri, Tavkeri, Saperavi, Chinuri, Rkatsiteli oder Meskhuri, etc.) ihren ganz eigenen Geschmack und ein matt-gelblich bis blass-orangenes Farbspektrum auch bei Weiß- und Schaumweinen.

Durch Georgien läuft zwar eine der wichtigsten Pipelines (fast 700 Kilometer lang) von Azerbaidschan Richtung Türkei (Ceyhan/ Erzurum), aber reiche Ölvorkommen besitzt das Land nicht. Dennoch sieht man ab und an kleine Pumpstationen und natürliche, inzwischen meist versiegelte Gasflammen wie z.B. in der Nähe von Sagaretscho.

Der Weg in Richtung russischer Grenze nach Oberswanetien bzw. zu Orten wie Gudauri, Stephansminda, Mestia und Ushguli ist neben den Kirchen Kwirike, Lamaria und Iprari mit herrlichen Fresken u.a. berühmt für seine Wehrtürme, die seit 1996 UNESCO-Welterbe sind. Fast sechs Monate im Jahr liegt hier auf über 2.200 Meter Schnee. Da kann es schnell zu Überschwemmungen und Erdrutschen kommen; ein Fahrzeug mit Allradantrieb ist daher unerläßlich. Einzelne Svanen-Türme findet man aber auch im Land verstreut, so z.B. im Süden in der Nähe von Rustaweli unweit der azerbaidschanischen Grenze.

Die Menschen sind herzlich und gastfreundlich. Live-Musik und gutes Essen, eventuell so gar ein rassiges Tänzchen, so mag es der Georgier am Wochenende.  Ausgehen ist unter den Städtern Trumpf; meist wird laut und lange gefeiert. Mittags wird übrigens eher wenig gegessen, dafür besteht schon das Frühstück aus deftiger Wurst, Käse, Eiern, Salat und Joguhrt  (Süßes ist kaum gefragt). Abends kommt dann Fleisch oder eine deftige Suppe auf den Tisch. Obst und Gemüse sind von sehr guter Qualität. Wer es sauer mag, sollte frisch gepressten Granatapfelsaft oder grüne Mirabellen probieren. Letztere sehen aus wie Oliven, schmecken aber wie ein saurer Apfel mit großem Kern.

Man kann sich auch abends sicher auf den Straßen und in den Gassen bewegen. Zu keinem Zeitpunkt besteht Anlaß zur Unsicherheit, auch nicht beim Auto abstellen. Auch eine Bahnfahrt mit dem georgischen IC, dem „Stadler Kiss“ von Tiflis nach Batumi an die Schwarzmeerküste (Dauer ohne Umstieg ca. 5 Stunden, Kosten um die 30.- Euro) ist jederzeit möglich und auch von Einzelreisenden bequem zu bewerkstelligen. Beste Reisezeiten sind das späte Frühjahr und der frühe Herbst. Im Sommer wird es in Tiflis teils unerträglich heiß.

TAG 4 – Genosse Stalin und letzte Tipps

Letzter Stopp der interessanten Rundreise bzw. auf der Rückfahrt zum Flugplatz Kutaissi (preiswertere Direktflüge als nach/ ab Tiflis) quer durch’s Land, ist die Provinzhauptstadt Gori (45.000 Einwohner). Kaum jemand würde dieses Städtchen kennen, wäre es nicht der Geburtsort von Iosseb Wissarionowitsch Dschugaschwili (1878 bis 1953), besser bekannt alsStalin„.

Ich würde das Museum am Stalin Boulevard 32, das auch das einfache Wohnhaus seiner Eltern sowie seinen grünen Reisewaggon zeigt, nicht als Huldigungsstätte für einen Massenmörder bezeichnen; sondern vielmehr als ein Stück Geschichte. Er hat zum Sieg im Zweiten Weltkrieg beigetragen und den Arbeiter- und Bauernstaat zur militärischen Supermacht gemacht. Allerdings auch Millionen Menschen unterjocht, bespitzelt, in Schauprozessen verurteilt und anschließend in Gulags deportieren lassen.

Die Ausstellung (rund 3.000 Exponate in sechs Räumen) zeigt Vitrinen, Fotos, Geschenke, Aschenbecher samt der geliebten Pfeife, seinen Schreibtisch, Füllfederhalter, seine Uniform und vieles mehr. Und natürlich den Totensaal, in dessen Mitte sich auf einem Podest eine Totenmaske des Diktators befindet. Vor und im Gebäude grüßt er von einem hohen Sockel. Beim Betrachten fragt man sich, wie aus einem stillen Jungen aus der Provinz mit gesundheitlichen Problemen und Ambitionen zum Priestertum letztlich ein gnadenloser Machthaber werden konnte. Wie das Leben so spielt.

Der seit 1941 genutzte, gepanzerte Eisenbahnwagen wiegt 83 Tonnen und Stalin war damit u.a. zur Konferenz von Jalta (1945) und Teheran unterwegs. Schlafabteil, Küche, Bad und Konferenztisch – alles im Original erhalten; egal, wie man darüber denkt. Das georgische Kulturministerium würde die Kultstätte zwar lieber den Opfern des Stalinismus gewidmet sehen, aber anscheinend ist es ein zu großer Wirtschaftsfaktor, als das man darauf verzichten könnte.

Pünktlich erreichen wir zwei Stunden vor Abflug wieder den kleinen, aber feinen Flugplatz von Kutaissi. Will man möglichst viel in kurzer Zeit sehen, empflieht sich eine individuelle Rundreise durch eine lokale Agentur. Der öffentliche Verkehr (Metro, Kleinbusse, Schnellzugstrecke) ist zwar gut ausgebaut und preiswert, aber allein wegen der gesonderten Schrift und Sprache – gerade auf dem Land – ist es besser, eine örtliche Begleitung zu haben. Zumal man so auch in direkten Kontakt mit der Bevölkerung kommt; man hat Zeit zu reden und Gewohnheiten wirklich kennenzulernen. Bei pauschalen Gruppenreisen und Tagesausflügen für Touristen – wie sie von den Hotels angeboten werden – bleibt man bei Bustouren und angesichts größerer Gruppen doch eher außen vor und ist zeitlich nicht flexibel. Unsere beiden Fahrer waren meist schon vor der Zeit am vereinbarten Treffpunkt und jederzeit bereit auf individuelle Wünsche zu reagieren. Die Fahrzeuge waren sauber, klimatisiert und mit ausreichend Mineralwasser und Taschentüchern bestückt. Beide Fahrer waren gepflegt gekleidet und tranken während der Touren keinen Tropfen Alkohol – nicht einmal ein Mix-Bier odgl.

Und wenn selbst bei bester Planung und schönstem Wetter auf unwegsamer Strecke (gerade im Gebirge oder bei Sonderprogrammpunkten) mal was schief geht oder es zu Mißverständnissen kommt, wußte der immer erreichbare „Enjoy-Georgia-Agentur Chef“ Giorgii, der perfekt Deutsch spricht und schnell kommuniziert, immer einen Rat. Und sei es, daß er nachträglich Aufnahmen mit seiner Drohne machte, um einen versprochenen Programmpunkt nachzuliefern. Das nenn‘ ich Service. Wir haben Georgien schätzen und lieben gelernt. Die Agentur bietet – wie andere Unternehmen natürlich auch – neben individuellen KultTouren auch Rundreisen zu festen Terminen sowie Reit-, Wander- & Trekking-Trips an. Auch auf zahlreichen Messen ist Enjoy-Georgia 2025/ 26 in Deutschland vertreten.

In diesem Sinne „Nachwamdis“ und „Didi Madloba“ მადლობა

… und nur knapp vier Flugstunden nach diesem ultimativen Kurzprogramm betritt man wieder das Abendland.

 

Anmerkung: Artikel enthält neben Empfehlungen vor allem viel Information über Georgien

 

 

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