… ist man in Gottes Hand – so der alt-bekannte Spruch.

Hier am Internationalen Seegerichtshof (International Tribunal for the Law of the Sea, kurz ITLOS) in Hamburg ist man vor allem nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auf sonderterritorialem Gebiet. Zudem ist es wohl das einzige Tribunal der Welt, wo man die Verhandlungen im Livestream verfolgen kann. Größere Bekanntheit erlangte das Gericht, als 2013 die Freigabe des Greenpiece Schiffes „Artic Sunrise“ verhandelt wurde, das nach Eindringen in die russischen Hoheitsgebiete der Barentssee dort festgesetzt wurde.

Gründung und Aufgaben des Seegerichtshofes

Es kommt nicht all‘ zu häufig vor, daß dieses maritime Gericht angerufen wird; durchschnittlich finden hier zwei Fälle pro Jahr statt. Wenn es aber dazukommt, dann geht es um viel: Viele Millionen Dollar und/ oder viele Menschen. Vor allem aber geht es darum, seerechtliche Streitigkeiten auf friedliche Art und Weise zu schlichten.

Das Funktionieren der Einrichtung hat seinen Preis: Knapp zehn Millionen Euro stehen dem Gericht jedes Jahr zur Verfügung. Finanziert wird das Budget durch Beiträge der 166 Mitgliedsstaaten des Seegerichtshofes. Wenn zwei Staaten in einem Seerechtskonflikt ein Schiedsgericht einschalten, wird es i.d.R. schnell teuer, so Fachleute. In der Sache fallen für die Streitparteien am Seegericht dann allerdings keine Gerichtsgebühren mehr an.

Der Ort, an dem seit 1996 (eingeweiht im Beisein von Außenminister Kinkel und UN-Generalsekretär Butros-Gali) bzw. 2000 der Seegerichtshof tagt, liegt idyllisch in einem gepflegten Park im Ortsteil Nienstedten und hat natürlich Wasserblick. Drum herum findet man gediegene Wohnanlagen, klassische Villen und sogar kleine reetgedeckte Häuser.

Auf dem Grund einer ebensolchen klassischen weißen Elbvilla (Ex-Schröder-Villa) wurde in unmittelbarer Nachbarschaft besagter lichtdurchflutete Glasbau erstellt, der überwiegend in den Farben Blau-Weiß und viel Holz gehalten ist. Alles glänzt wie aus dem Ei gepellt; alle sechs Wochen kommt der Fensterputzer. Das über 30.000 Quadratmeter große Grundstück ist freilich eingezäunt und durch Kameras überwacht. Besucher müssen vor dem Betreten durch eine Sicherheitsschleuse und ein Ausweisdokument zeigen.

Hausordnung und Abläufe

Ist die Sicherheitsschleuse einmal passiert, hat man – wie eingangs erwähnt – auch die Bundesrepublik verlassen, d.h. man wandelt über internationales Territorium. An einem Fahnenmast weht die Flagge des Tribunals: im oberen Bereich zeigt sie die typische Waage der Justizia, darunter wogende Wellen.

In der geräumigen Eingangshalle fällt neben einer fast andächtigen Stille, sofort das große Schiffsmodell auf: Die „Wappen von „Hamburg I“, ein prächtiges Segelschiff aus dem 17. Jahrhundert. Hinter dem Empfang öffnet sich eine weite Halle mit Wartearealen. Im ersten Stock, wo sich auch der Zugang zum zentralen Gerichtssaal befindet und Besprechungsräume reserviert sind, kann man sich in einem kleinen musealen Teil über die Richterschaft und das Procedere informieren. Hier findet man neben vielen Fotos z.B. auch den großen Schlüssel, der anläßlich der feierlichen Einweihung am 03. Juli 2000 von UN-Generalsekretär Kofi Annan symbolisch an den damaligen Seegerichts-Präsidenten Chandrasekhara Rao übergeben wurde.
Julia Ritter ist die Sprecherin des Internationalen Seegerichtshofes; bei ihr laufen viele Fäden zusammen. Egal, ob es sich um Besucheranmeldungen oder die korrekte Aufstellung der Richter*innen für das obligatorische Erinnerungsfoto geht.
Wenn hier Verhandlungen laufen, sind die 250 Plätze für Presse und die  Besucher-Öffentlichkeit schnell belegt. Zudem sitzen im Verhandlungsrund dann bis zu 80 Anwälte, 21 Richter und 35 weitere Mitarbeiter aus 20 verschiedenen Ländern, wie z.B. Mitarbeiter der Rechtsabteilungen, Stenographen und Dolmetscher (die Kabinen liegen hoch über dem Sitzungssaal). Amtssprachen sind Englisch und Französisch.
Bei Vereidigungen der Richterschaft und an Verhandlungstagen schreiten die Protagonisten in dunkelblauen Roben dann sehr bedächtig und würdig um das halbrunde Podest bevor sie Platz nehmen. Analog zum globalen Schiffahrtswesen und Seehandel kommen sie aus allen fünf Kontinenten. Aktuell sitzt dem Gericht als Präsident der Isländer Tómas Heiðar (zuvor war es ein Japaner) vor, der im Oktober 2023 für drei Jahre gewählt wurde. Nur er ist dauerhaft in der Hansestadt ansässig, alle anderen Richter sind nicht in Hamburg wohnhaft und werden bei Bedarf aus der ganzen Welt eingeflogen. Alles sehr honorige Leute, die zuvor teils in Botschafter- oder Ministerpositionen ihrer Herkunftsländer tätig waren. Einige sind auch schon im Rentenalter, aber nicht minder fähig und agil.
Hinsichtlich des aktuell ansässigen Verfahrens der Heroic Idun stammt der vorsitzende Richter mit Namen Hoffmann aus Südafrika, die beiden beisitzenden Richterinnen Infante und Brown aus Chile und Jamaika.

Waren es inhaltlich bisher meist Schiffsfreigaben, steigt die Zahl an Grenzverletzungen, illegaler Fischerei, Umweltschutz- und Meeresbodenabbaustreitigkeiten etc. an. Schließlich ist das Meer – bis auf gewisse Schutzzonen mit speziellen Nutzungsrechten – zwar ein staatenfreier, aber kein rechtsfreier Raum. Das trifft insbesondere die Fischerei, aber auch die Ausbeutung von Bodenschätzen. Ansonsten gilt auf See bzw. den Schiffen das sog. Flaggenprinzip, d.h. die Schiffe unterliegen der Rechtsordnung des jeweiligen Landes unter dessen Flagge sie fahren.

Zusammenspiel von Seegerichtshof und Seerechtskonvention

All diese Aspekte werden durch die UN-Seerechtskonvention (in Kraft seit 1994) zusammengefaßt, der der Seegerichtshof seine Existenz verdankt. Mit über 300 Artikeln ist die Seerechtskonvention das umfangreichste Werk, das jemals im Völkerrecht zu Stande kam. Nach Beginn 1973 dauerten die Verhandlungen darüber fast zehn Jahre bis die Konvention 1982 entstand. Mitglied sind fast alle Staaten dieser Erde (USA und Türkei z.B. nicht), einige NGOs und als internationaler Staatenbund auch die Europäische Union.
Gibt es Streit über die Auslegung des Seerechtsübereinkommens, können sich die betreffenden Staaten an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, an ein Schiedsgericht oder eben an den Seegerichtshof in Hamburg wenden. In Hamburg können aber auch bilaterale Abkommen verhandelt werden. Will heißen: anders als beim IGH in Den Haag, können nicht nur Staaten den Seegerichtshof anrufen, sondern auch einzelne Institutionen und Personen.

Der Fall „Heroic Idun“ 

Im aktuellen Fall ist das Schiff unter der Flagge der Marshallinseln registriert, die Reederei Idun Maritime Ltd hat ihren Sitz jedoch auf der Isle of Man). Konkret geht es um einen Tanker im Charterauftrag von British Petrol, der im August 2022 von den Behörden Äquatorialguineas und Nigerias vor der afrikansichen Küste nahe einer Offshore-Ölplattform festgesetzt wurde, weil er unter dem Verdacht stand, Öl gestohlen und einen Piratenüberfall vorgetäuscht zu haben. Der Fall wurde international bekannt, da die 26 Besatzungsmitglieder fast drei Monate lang vom Militär (unter nicht gerade angenehmen Bedingungen) der zuvor genannten Länder festgehalten wurden. Nach vergeblichen außergerichtlichen Bemühungen, reichten die Marshallinseln schließlich Klage vor dem Internationalen Tribunal für das Seerecht (ITLOS) ein, um die Freilassung des Schiffes und seiner Crew zu erwirken. Dies gelang gegen eine (vorläufige?) Vergleichszahlung von 15 Millionen U$-Dollar. Nun aber wurde die Klage seitens den Marshallinseln erneut aufgenommen, um ihre Unschuld zu beweisen und die geleistete „Freikaufsumme“ samt Folgekosten von Äquatorialguinea kompensiert zu wissen. Die Rede ist aufgrund von angeblichen Beschädigungen des Schiffes während der Liegezeit im Gewahrsam  und Nutzungsausfall des Tankers nun von rund 43 Millionen Dollar. Vor allem aber geht es den Marshallinseln (zurecht) um die Feststellung der Menschenrechtsverletzungder inhaftierten Crew (vom Kapitän bis zum Koch) und dem Verwirrspiel, ob nun Äquatorialguinea oder Nigeria dafür die Verantwortung trägt.
Fakt ist seit dem ersten Prozeßtag, daß ein Tanker (seinerzeit hieß das Schiff noch „Hunter Idun“) der zum maßgeblichen  Zeitpunkt hoch aus dem Wasser ragt, niemals Öl gestohlen haben kann, denn in diesem Zustand ist er mehr oder weniger leer. Desweiteren gilt es als ziemlich sicher, daß das in der Dunkelheit herannahende Schiff der äquatorialguineischen Küstenwache seinen Kennungstransponder ausgeschaltet hatte und sich – nach Aussagen der Idun Crew – seltsamerweise nicht direkt zu erkennen gab. Demzufolge leistete die verunsicherte Crew der Idun Widerstand, usw. Gesprächsprotokolle zum Funkverkehr wurden dem Gericht vorgelegt und unter Auschluß der Öffentlichkeit Crew-Mitglieder als Zeugen vernommen. Einige der Betroffenen sind bis heute durch diesen Vorfall traumatisiert und fürchteten seinerzeit ihre Familien nie wiederzusehen.
Die öffentlichen Anhörungen vor dem ITLOS hatten am 06. Oktober 2025 begonnen. Drei Jahre liegt der Vorfall nun zurück – gut Ding bzw. Klärung und Gerechtigkeit will Weile haben. Aber was ist Recht, was Gerechtigkeit? Keiner der Urteilenden war dabei und selbst Zeit- und Augenzeugen sind nicht immer verlässliche Größen. Die Richter sagen dazu gerne: Von mir bekommen Sie keine Gerechtigkeit, sondern nur ein Urteil. Repräsentiert und vertreten sind beide Parteien durch höchste Vertreter ihrer Länder und international tätigen Rechtsanwälten mit Sitz in London und anderen europäischen Metropolen.  
Im Vorfeld der 8-tägigen Verhandlungen wurden am 01.10.25 eigens die Herren Richter Gudmundur Eiriksson (Island) und Philippe Couvreuer aus Belgien als ad hoc Richter der jeweilig streitenden Parteien vereidigt. Punkt 11.00 Uhr heißt es: „Please arise…“ man erhebt sich. Im würdigen Rahmen wurden dazu ihre bisherigen Laufbahnen verlesen und die Urkunden vom Vorsitzenden Richter  gegengezeichnet.
Zu den Beobachtern der Zeremonie gehörten auch vier Praktikanten*innen aus China, der Slowakei, Spanien und Kenia, die gerade erst in Deutschland eingetroffen sind. Sie werden hier ein dreiwöchiges Praktikum absolvieren und den anhängigen Prozeß verfolgen, der am 13.10. mit den Anhörungen der Parteien schließt. Die Verkündung des Urteils wird bis zum Frühjahr 2026 erwartet.
Die Baukosten des Tribunals in Höhe von rund 60 Millionen Euro wurden seinerzeit von der Bundesrepublik und der Stadt Hamburg getragen. Nur allzu voreilig werden solche Ausgaben als unnötig abgetan – so lange es einen nicht selbst betrifft.
Allein die ihrer Freiheit beraubten 26 Besatzungsmitglieder der Heroic Idun sowie deren Familien wissen diese Instanz sicher zu schätzen, konnte die internationale Besatzung (darunter Inder, Sri Lanker, Polen und Philippinos)  dadurch doch Zug um Zug in die Heimat zurückkehren. Zudem sollte allein die Existenz des Internationalen Seegerichtshofes auch ein gewisses vorbeugendes Instrument gegen unlauteres Vorgehen sein und ein internationales Zeichen gegen modernes Freibeutertum setzen.
Nach Kenntnis der Verfasserin sind die Entscheidungen des ITLOS endgültig und rechtsbindend, d.h. es gibt keine übergeordnete Instanz die angerufen werden könnte. (Theoretisch) haben sich die Vertragsparteien bei Beitritt dazu verpflichtet, die Entscheidungen des ITLOS zu respektieren und umzusetzen. Allerdings gibt es keine unmittelbaren Vollstreckungsmittel falls sich die unterlegene Partei nicht daran hält. Im Zweifelsfall bliebe den Staaten dann wohl nur, auf politischem Wege gegenseitig Druck auszuüben.
Man darf also gespannt sein, wie das Gericht in dieser widersprüchlichen Angelegenheit entscheidet, denn die Vertreter  Äquatorialguineas streiten so ziemlich alle Anschuldigungen ab. Wie heißt es juristisch so schön: „Zu entscheiden wie rechtens“. Mag sein, daß das Verfahren in einem finanziellen Vergleich endet. Aber wie beziffert man im Zweifelsfall den Wert von verletzten „Menschenrechten“? 
      
Anmerkung: Fotos PFritz
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