Seit 08.06.2022 läuft vor dem Bundesstrafgericht der Schweiz, dem „Tribunale Penale Federale“ in Bellinzona das Strafverfahren gegen den ehemaligen FIFA-Präsidenten JOSEF BLATTER sowie gegen seinen ehemaligen Berater und Ex-UEFA-Präsidenten MICHEL PLATINI wegen des Verdachts des Betruges und Veruntreuung zu Lasten der FIFA. Letztere ist an dem Verfahren als Privatklägerin beteiligt. FIFA und Bundesstaatsanwalt werfen Blatter (als Täter) und Platini (in Beihilfe) vor, daß es für die Zahlung der fraglichen zwei Millionen Schweizer Franken an Platini keine Rechtsgrundlage gäbe. Faktisch wirft man Blatter Alleingang respektive Alleinherrschaft vor.

Bis dato ist ferner nicht gesichert bekannt, wer als „Whistleblower“ der Bundesanwaltschaft von besagter auffälliger Zahlung über zwei Millionen Franken Kenntnis gab, was letztlich ursächlich für die Einleitung der umfangreichen Ermittlungen über sechs Jahre hinweg war. Voraussichtliche Urteilsverkündung soll am 08.07.2022 sein.

Nach dem üblichen Kontrollprocedere am Einlaß unter den Augen von Polizei und Justizbediensteten betreten neben den Prozeßbeteiligten auch Presse und Öffentlichkeit den hellen, technisch bestens (einschließlich Übersetzerkabinen) ausgestatteten Sitzungssaal; hier „Aula“ genannt. Nach Aufruf der Sache durch die Vorsitzende Richterin Frau Josephine Cantu-Albrizio kann Josef Blatter am zweiten Prozeßtag nun doch vernommen werden, nachdem er am 08.06. aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage war.

Zunächst verläuft der Dialog mit dem 86-Jährigen was Informationen zu seinen persönlichen Verhältnissen betrifft etwas schleppend. U.a. gibt er, der privat in Visp wohnt, an, aufgrund eines immer noch in Zürich unterhaltenen Büros sowie einer Wohnung Kosten von CHF 25.000.- Schweizer Franken zu haben (rund 24.500.- EURO). Hinsichtlich seiner allgemeinen Finanzsituation verweist er auf seine eingereichten Steuerunterlagen.

Sepp“ Blatter – wer Erfolg hat, hat Recht?

Inhaltlich bestreitet er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bzw. nennt sie übliche administrative Praxis über die auch weitere Abteilungen der FIFA informiert gewesen wären (diese Aussage wurde später von zwei vernommenen Zeugen auch so bestätigt; ein Dritter konnte sich nicht daran erinnern).

Sobald das Thema auf den Fußball kommt, wird seine Rede flüssiger und lebhafter. Man merkt ihm an, daß Fußball immer noch sein Leben ist. Im Verlauf der Befragung merkt er mehrfach an, gar nicht zu wissen, warum er hier sitze. Er habe aufgrund der Dauer des Ermittlungsverfahrens seit 2015 (Anklageschrift wurde erst im November 2021 erhoben) schon genug Sozialächtung erlitten. Insbesondere, was seine Reputation angehe, denn die vormals zahlreichen Einladungen zu Vorträgen und Veranstaltungen blieben seitdem aus und selbst bereits vollzogene Würdigungen wie z,B. ein Ehren-Doktortitel wären ihm wieder aberkannt worden. Dabei schmunzelt er und murmelt etwas wie „ja noch vier weitere davon zu haben“.

Er führt weiter aus, daß es sich bei der FIFA ja „nur“ um einen normalen eingetragenen gemeinnützigen Verein mit den üblichen Strukturen und Vorgängen handele. Rein rechtlich betrachtet ist dies tatsächlich so, obwohl nach meinen Online-Recherchen das Geschäftsvolumen der FIFA 2015: 544 Mio U$, im Rußland-WM-Jahr 2018: 4,6 Milliarden U$ und 2021: 766 Mio U$ betrug.

Wie gesagt, hier geht es um zwei Millionen. An anderer Stelle wurde in Relation zum Gesamtvolumen dafür schon mal der Begriff „Peanuts“ geprägt. Überdies werden im Kanton Zürich derartige Summen nur mit 4% Gewinnsteuer belegt.

Konkret meint Blatter mit „normalen Vorgängen“, daß er nach seiner Wahl zum FIFA-Präsidenten 1998 den mitangeklagten Ex-Weltklasse-Fußballer und seinerzeitigen VIZE OK-Chef der Fußball-WM in Frankreich Michel Platini unbedingt als Berater an seiner Seite haben wollte. Dieser habe zunächst gezögert für die FIFA tätig sein zu wollen, habe aber einige Monate später dann doch zugesagt, den Posten des Technischen Beraters zu übernehmen. Hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen habe Platini eine Million pro Jahr gefordert, das sei er wert. Welche Währung sei ihm seinerzeit egal gewesen. Diese Summe habe er Michel Platini daraufhin per Handschlag zugesagt und nennt dies ein „Gentlemen Agreement“ unter Ehrenmännern.

Seltsam nur, daß der schriftliche FIFA-Arbeitsvertrag für M. Platini seinerzeit erst neun Monate nach Aufnahme seiner Tätigkeit mit Büro in Paris und mehrfacher Nachfrage abgefaßt wurde. Die eigentliche Brisanz liegt jedoch darin, daß im Vertrag „lediglich“ ein Gehalt von CHF 300.000.- pro Jahr beziffert ist. Für Blatter alles völlig normal.

Nach vier Jahren endete 2002 die Beratertätigkeit von Platini – ohne, daß bis dahin etwas von der seinerzeit per Handschlag zusätzlich vereinbarten Summe über CHF 700.000.- p.a. geflossen wäre. 2007 wurde Platini schließlich zum UEFA-Präsidenten gewählt und übte dieses Amt bis 2016 aus.

Das seltsame Vertragsgebaren der FIFA

Nach zirka einer Stunde ist die Befragung von „Sepp“ Blatter abgeschlossen und nach kurzer Pause ist die Reihe an Michel Platini zu den betreffenden Vorgängen Stellung zu nehmen. Platini (heute 66 Jahre alt, Privatier und wohnhaft in Cassis/ Frankreich) wirkt souverän und gelassen. Nur wenige Minuten zuvor war er mir auf dem Gang vor dem Sitzungssaal mit einem Lächeln begegnet.

Nunmehr beantwortet er mit Hilfe eines Dolmetschers für Französisch alle Fragen zügig und plausibel. Seit 43 Jahren sei er inzwischen mit Christine verheiratet, und das Verhältnis zu seinen beiden erwachsenen Töchtern sei „manifique“. Hinsichtlich seiner monatlichen Ausgaben kann er keine Zahlen nennen und verweist ebenfalls auf Steuerunterlagen. Grundsätzlich habe er dem Handeln der FIFA immer vertraut und kenne Blatter als verläßlichen Geschäftsmann, der sein Wort hält.

Auf die Frage, warum er so lange auf die Restzahlung gewartet habe, gibt er an, Geld nicht dringend zu brauchen, da er schon als Spieler genug verdient habe. Zudem hätte die FIFA – laut Blatter – seinerzeit finanzielle Engpässe durch weggebrochenen Werbeverträgen und TV-Rechten gehabt, so daß man ihn gebeten habe, noch abzuwarten. Auf Nachfrage warum er dann gerade 2011 die finale Rechnung gestellt habe, berichtet er davon Kenntnis erhalten zu haben, daß zwei andere Ex-FIFA-Mitarbeiter beim Ausscheiden Abfindungen in Millionenhöhe erhalten hätten. Für was oder warum auch immer.

So habe auch er Anfang 2011 schließlich die noch offene Restvergütung per einfacher Mail in Rechnung gestellt. Süffisanter Umstand: Der korrekte Betrag hätte nach vier Jahren zu je CHF 700.000.- eigentlich 2,8 Millionen lauten müssen. Allerdings habe er nur zwei Millionen geltend gemacht, weil er dachte 500.000.- CHF (statt 300.000.-) pro Jahr bereits erhalten zu haben. Ein „Zahlen-Mensch“ scheint M. Platini wahrlich nicht zu sein.

Nach Rechnungseinreichung seien ihm die besagten zwei Millionen Schweizer Franken jedenfalls innerhalb von 14 Tagen ausgezahlt worden und er habe den Betrag in Frankreich wie üblich versteuert.

Klack, klack, klack … jedes Mal, wenn die Protagonisten Blatter oder Platini zu reden beginnen, setzt Laptop-Geklapper ein. Zirka 25 Medienvertreter sind anwesend und sitzen zu meiner Rechten. Schon um 08.30 Uhr vor Prozeßbeginn wurden vor dem weißen klassizistischen Gebäude auch einige Kameras in Position gebracht. Insbesondere um den Moment abzupassen, wenn Blatter und Platini mit Ihren Anwälten Erni und Nellen das Gericht betreten und später wieder verlassen. Um – wie heißt es Neudeutsch so schön – möglichst einen O-Ton zu erhaschen.

Wie auch immer. Was die verbal versprochene Gesamtvergütung angeht, stimmen die Aussagen von Blatter und Platini überein. Allerdings stellt sich bis heute die Frage, warum in seinem Anstellungsvertrag nur von CHF 300.000 pro Jahr die Rede war, wenn der „Handshake“ über eine Million lautete. Schließlich werden ja auch die FIFA Konten regelmäßig geprüft und ein Abgang von zwei Millionen nicht unbemerkt bleiben, zumal wohl auch mehrere Personen im Umkreis der beiden davon wußten. Nämlich z.B. der seinerzeitige FIFA-Chef-Jurist Filliger sowie der ehemalige Finanzchef Kattner.

Besagter Markus Kattner wurde neben diversen andern Zeugen schließlich am 14.06. vernommen. U.a. deshalb, weil einige ihn für den „Whistleblower“ halten. Kattner selbst ist seit Mai 2016 jedoch nicht mehr bei der FIFA beschäftigt bzw. wurde wegen anderer angeblichen Unregelmäßigkeiten fristlos entlassen. Grund seien nach Angaben der heutigen FIFA-Verantwortlichen ungerechtfertigt vereinnahmte „Boni-Zahlungen“ in Höhe von fünf Millionen CHF gewesen.

Kattner ist übrigens Deutscher bzw. nach vielen Jahren Tätigkeit bei den Eidgenossen Deutsch-Schweizer. Er lebt und arbeitet heute m.W. als selbständiger Unternehmensberater in der Nähe von Freiburg. Nach seiner FIFA-Entlassung hatte er vor dem Arbeitsgericht Zürich Schadenersatz über zehn Millionen Schweizer Franken (CHF) von der FIFA gefordert. Diese Klageforderung wurde vor knapp einem Jahr abgewiesen; dagegen wurde m.W. jedoch Rechtsmittel eingelegt.

M. Kattner nimmt bereitwillig und klar zu den einzelnen Fragen der vorsitzenden Richterin Stellung, d.h. er erinnert sich an die überfallartige Hausdurchsuchung im Büro sowie seinem Privatbereich im Mai 2015 über 13 Stunden hinweg ziemlich genau. Er und sein Team haben seinerzeit alle geforderten Unterlagen noch am selben Tag ohne gesonderten Kommentar an den ermittelnden Bundesanwalt Thormann übergeben. Olivier Thormann hingegen behauptet in seiner Aussage – so der abgespielte Gesprächsmitschnitt der Vernehmung vom 09.06. – daß ihm Kattner tatsächlich sämtliche Unterlagen übergeben, aber schon damals auf die Besonderheiten einer Sonderzahlung in Sachen Platini hingewiesen habe. Was soll man davon halten?

Wo viel Licht ist, scheint auch viel Schatten

Unmittelbar nach Kattners Verlassen des Sitzungssaales, nimmt der Verteidiger von M. Platini, RA Nellen, die divergierende Aussage von Thormann (damals Bundesanwalt und Chef-Ermittler, heute immer noch am selben Bundesgericht im Hause als Richter tätig) zum Anlaß, gegen Thormann wegen Falschaussage vor Gericht und wegen seiner „Geschwätzigkeit“ über das Verfahren der Presse gegenüber Strafanzeige zu stellen. Des weiteren formuliert er 13 ergänzende Beweisanträge und beantragt die Einvernahme weiterer Zeugen. U.a. des amtierenden FIFA-Präsidenten Giovanni Infantino.

Man darf also gespannt sein, wie die Sache weitergeht. Insbesondere, da es keine höhere Berufungsinstanz gibt und das Urteil von Bellinzona endgültigen Bestand haben wird.

Am 15.06. plädiert Staatsanwalt Hildbrandt, der zuvor nie das Wort ergriffen oder Fragen an die beiden Angeklagten gerichtet hat, unbeirrt auf „schuldig“. Für ihn sei die vorgebrachte „Handshake-Vereinbarung“ über CHF 700.000.- p.a. bzw. die einmalige Nach- bzw. Extrazahlung von zwei Millionen Schweizer Franken eine zwischen Blatter und Platini abgesprochene Schutzbehauptung. Er fordert daher für Blatter eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Dasselbe Strafmaß für Platini und darüber hinaus eine Zahlung von 2,2 Millionen. Von einer Rückzahlung an die FIFA ist dabei allerdings nicht die Rede.

Man darf also mehr als gespannt sein, wie das Urteil im besagten Fall lauten wird.

Am Rande sei angemerkt, daß es zwischen einem in Deutschland und der Schweiz geführten Verfahren prozessual durchaus einige Unterschiede gibt.

Trotz der höchsten Gerichtsbarkeit ohne Berufungsmöglichkeit werden in der Schweiz z.B. keine Roben getragen, was an jedem deutschen Strafgericht meist zwingend erforderlich ist.

Die Befragung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten läuft – anders als in Deutschland – wesentlich formalisierter unter Zugrundelegung eines eng gefaßten Fragenkataloges ab.

Sobald die Beweisaufnahme, also die Einvernahme von Zeugen abgeschlossen ist, haben alle Beteiligten nicht nur einmal Gelegenheit zum Plädoyer, sondern zweimal. Erst dann folgen die Schlußworte der Angeklagten und wird richterlich über die Entscheidung beraten und das Urteil verkündet. In der Schweiz bezeichnet man dies übrigens als „Urteilseröffnung“.

Unabhängig davon, was das Hohe Gericht den Anwesenden dann „eröffnen“ wird, drängt sich vermehrt der Eindruck auf, daß überall da, wo viel Geld, Ruhm und internationale Aufmerksamkeit im Spiel sind, jeder sehr bald seine eigene Wahrheit lebt und zum gnadenlosen Opportunisten wird. Was an die Öffentlichkeit gelangt, scheint ohnehin nur die „Spitze des Eisberges“ zu sein. Wer ist nach all‘ den Jahren eigentlich noch an der vermeintlichen Wahrheit interessiert? Geht es den streitenden Parteien dann häufig nicht eher um persönliche Befindlichkeiten? Und was wäre dann ein gerechtes Strafmaß? Wie heißt es intern unter Richtern so schön: Bei mir bekommen Sie ein Urteil, nicht Gerechtigkeit.

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