Es gibt wohl kaum eine Sportart, wo Körpergröße, Gewicht und Power eine derart maßgebliche Rolle spielen respektive die Leistung begünstigen wie im RUDERN. D.h. die Athleten sind entweder überdurchschnittlich groß und (insbesondere im Oberkörperbereich) muskulös oder klein und zierlich gebaut. Die Plätze im Boot für die „super Leichtmatrosen“ sind freilich gezählt, denn es handelt sich hierbei um die sog. Steuermänner*frauen, die sich nicht an den Riemen und Skulls verausgaben, sondern ausschließlich Takt und Richtung angeben.

Ich selbst habe mich vor zwei Jahren in Hamburg in die Geheimnisse des Wettkampfrudern (Zweier) einweisen lassen und weiß um die Knackpunkte. Diese Boote sind aufgrund besonderer Materialien nicht nur ziemlich teuer, sondern vor allem schmal und „kippelig“, d.h. das Einsteigen bzw. Aussteigen wird ohne etwas Fixierhilfe von außen zur Zitterpartie. Und wenn es dann los geht, heißt es sich auf dem Schiebesitz per Beindruck und Oberkörpereinsatz nicht nur vorwärts-rückwärts zu bewegen, sondern dabei gleichzeitig auch die Ruderblätter vor dem Eintauchen permanent 90 Grad und bei Durchziehen wieder zurückzudrehen, damit sie nicht das Wasser berühren und dadurch bremsen. Drei bis vier Züge klappt das meist recht schnell, aber dauerhaft den Rhythmus zu halten bzw. den Dreh an den Skulls raus zu haben, erfordert doch etwas Übung. Mein damaliger Coach war ein ehemaliger Champion und klasse Typ, der so einige internationale Medaillen bei den U23-Europa- und Weltmeisterschaften einfahren konnte. Sein Tipp: einfach aufhören zu denken und sich ganz dem Flow hingeben. Sprach’s und schon flogen wir – dank seiner kräftigen Züge – hinter mir sitzend gemeinsam für ein paar Sekunden über das Wasser. Bis ich wieder anfing zu denken … und mein rechtes Ruderblatt spritzend das Wasser touchierte.

Apropos: die Junioren-WM und die U23-WM 2022 fanden vom 25. bis 30. Juli 2022 in Oberitalien statt. Die Wettbewerbe wurden auf dem Lago di Varese über die olympische Wettkampfdistanz von 2000 Metern ausgetragen. Gemäß den unterschiedlichen Bootsklassen waren dies 22 Wettbewerbe, davon jeweils elf für Männer und elf für Frauen. Das wollte ich mir live ansehen.

Die wichtigsten Bootsklassen beim Rudern (Vortrieb rückwärts) sind zum Beispiel:

Der Einer (Abkürzung 1x, auch Skiff genannt) wird von einer Person mit Skulls angetrieben, also jeweils einem Ruder rechts und links (Jonas Gelen und Alexandra Föster gewinnen in Varese Gold für Deutschland).

Beim Doppelzweier (Abkürzung 2x) sitzen zwei Ruderer mit jeweils zwei Skulls im Boot. Steuerleute sind dabei nicht vorgesehen. Um in (zeitsparender) gerader Linie das Ziel zu erreichen ist es umso wichtiger beidseitig gleichmäßige Züge auszuführen.

Beim Doppelvierer (Abkürzung 4x) sitzen vier Ruderer mit jeweils zwei Skulls im Boot. Die Variante des Doppelvierers ohne Steuermann (4x-) ist heute weitaus bedeutender, wenngleich auch der Doppelvierer mit Steuermann (4x+) existiert und Ruderregatten (auch als Leichtgewichtsversion) ausgefahren werden. Die deutschen Herren holten in Varese in dieser Disziplin Silber, die Frauen Bronze.

Beim Zweier ohne Steuermann bzw. Zweier ohne Steuerfrau (Abkürzung 2-) sind ebenfalls zwei Ruderer aktiv, aber dieses Mal jeder nur an einem Riemen. Die Bootsklasse wird alternativ daher auch als Riemen-Zweier oder verkürzt Zweier-ohne bezeichnet. In Varese ging Bronze an die deutschen Frauen.

Analog dazu sitzen im Vierer ohne Steuermann bzw. Vierer ohne Steuerfrau (Abkürzung 4-, häufig als Vierer-ohne bezeichnet) vier Ruderer an jeweils einem Riemen im BootIm Vierer mit Steuermann bzw. Vierer mit Steuerfrau (Abkürzung +; häufig vereinfacht als Vierer-mit bezeichnet) finden vier Ruderer an jeweils einem Riemen sowie ein Steuermann Platz. Der Steuermann sitzt meist unmittelbar frontal mit Blick in Fahrtrichtung vor dem ersten/ letzten Ruderer am Ende des Bootes. 

Und schließlich der Achter (Abkürzung 8+, Bootslänge ca. 17,5 Meter), ausgelegt für acht Personen mit Riemen oder Skulls. Hier ist zusätzlich immer ein Steuermann an Bord. Der Deutschland-Achter der Herren ging in Varese leer aus, aber immerhin holte der  Frauen-Achter Platz 3 in 6 Min 31 Sekunden. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 18,5 Stundenkilometern.

Neben dem Einer gilt der Achter beim Weltruderverband (FISA) als wichtigste Unterklasse bzw. „Königsklasse“.  Neben Technik und Kondition, ist hierbei die interne Abstimmung und Harmonie unter den Protagonisten ein maßgeblicher Erfolgsgarant; sogar die Sitzreihenfolge bestimmter Athleten kann bei der Kraftübertreibung einen Unterschied machen. In dieser Bootsklasse wird immer mit Riemen gerudert, sie ist außerdem die schnellste aller bedeutsamen Bootsklassen im Rudern. Der Achter ist bereits seit 1900 eine olympische Bootsklasse und existiert außerdem als nicht-olympische Leichtgewichtsvariante. Berühmt ist der Achter aber durch die Klassiker-Rennen zwischen den englischen Universitäten Oxford und Cambridge, die alljährlich auf der Themse ausgetragen werden. Henley ist übrigens ein traumhaft schöner Ort und das elegante weiße Clubhaus umrahmt von einer gepflegten Gartenanlage sucht seines Gleichen.

Hier in Varese geht es recht lässig zu. Sportler, Zuschauer, Familienangehörige, Offizielle und Trainer etc. bilden ein buntes Völkchen, das umeinander kreist. Schon an den Trikots kann man erkennen, aus welchem Land die Sportler kommen. Innerhalb weniger Minuten begegne ich Kanadiern, Holländern Belgiern, Australiern, Deutschen, einem Uruguayo und zwei Südafrikanern. Auf dem Wasser erkennt man die Nationen ganz leicht an den Länderfarben auf den Ruderblättern.

Mein erstes Ziel ist das am Ende der Tribünen gelegene örtliche Clubhaus der „canottieri“ mit einer kleinen Cafeteria und jede Menge Pokalvitrinen. Angeschlossen an den den etwas in die Jahre gekommenen Rundbau ist das Indoor-Trainingszentrum, wo sich auch zwei Wasserbecken zur Rudersimulation befinden. Über Lautsprecher ist man bestens informiert, welches Rennen am anderen Ende des Sees gerade gestartet wird; kurz vor dem Zieleinlauf kommen die Boote dann direkt hier vorbei. Ferner sorgt eine riesige Videowand für Detail-Infos zum Rennverlauf wie die Schlagzahl, Meter pro Schlag (immerhin um die acht bis neun Meter), Endgeschwindigkeit oder Siegerzeit.

Als ich mit einer Limo zurückkomme, sitzt an anderen Ende des Tischchen sogar eine junge Vertreterin aus Zimbabwe mit ihrer Familie. Ich schiele auf ihren Teilnehmer-Batch und lese den Namen Stacy Dunston. Kurz darauf fällt mein Blick auf einen echten Modell-Athleten (um nicht zu sagen „Kleiderschrank“), der mit einem deutlich kleineren Kumpel direkt neben mir samt Espresso Platz nimmt. Bewußt wählt er einen Metallstuhl, nicht das übliche Plastikteil. Zweifelsohne ein Ex-Champ, offenbar aus Litauen. Eine kurze Online-Recherche bestätigt meine Annahme. Es handelt sich um Saulius Ritteris (inzwischen 33 Jahre alt) , der u.a. im Zweier bei den Olympischen Spielen Silber mit Mindaugas Griskonis gewann. Gute einhundert Kilogramm Gewicht wohl verteilt auf über zwei Meter Körpergröße, blaue Augen – hmm, das könnte glatt ein Grund sein, wieder mit dem Rudern anzufangen. Aber in der Tat gibt es kaum eine Sportart, wo im Bewegungsablauf so viele verschiedene Muskelpartien und Körperregionen gleichzeitig angesprochen werden. Gerade durch das Trockentraining an einer Rudermaschine kann – abgesehen von Konditionssteigerung – bei richtiger Bedienung auch aktive Physiotherapie (z.B. für den Rückenbereich) betrieben werden.

„Ich reiße mich also am sprichwörtlichen Riemen“. Schließlich wollte ich ja noch zum Bootslagerplatz und den Anlandestegen (Bootssattelplatz); und gegen Nachmittag finden auch schon die nächsten Siegerehrungen statt. Der Zeitplan ist eng getaktet. Gerade rauscht unter lauten Anfeuerungsrufen ihres Teams und Klatschtiraden der Zuschauer eine Griechin knapp vor einer Türkin als Erste durch’s Ziel. Egal, in meinen Augen ist jeder Sportler der es bis hier hin geschafft hat, ist ein wahrer Sieger – Bravo!

print
Autor

Write A Comment