Nein, mir ist nicht der Glühwein zu Kopf gestiegen. Das „Tannenbaumwerfen“ gibt es seit 1997 wirklich und zählt zu den kuriosesten Adventsbräuchen im Norden.

Schauplatz dieser Tradition ist Hamburg und demzufolge geht es maritim zu. „Die Aktion Einen Tannenbaum für Schiffe im Hamburger Hafen stammt vom Nordmann Informationszentrum in Zusammenarbeit mit der Hafenwirtschaft und unterstützt von Sponsoren“ so Organisator Werner Koop. Von dem Fahrgastschiff „La Paloma“ aus verteilt der Weihnachtsmann Tannenbäume an ausgewählte im Hafen liegenden Schiffe. Damit die Tannenbäume auch auf den Schiffen ankommen, müssen sie von Bord zu Bord schwungvoll über die Reeling geworfen oder am Tampen bzw. Kran an Bord gehievt werden. Konkret heißt das: 20-30 Tannenbäume bringen somit jedes Jahr ein bisschen weihnachtliche Stimmung auf Tanker, Bulker, Containerfrachter und Arbeitsschiffe. Viele Seeleute verbringen die Weihnachtsfeiertage auf hoher See oder auf dem Schiff im Hafen, weit weg von ihren Lieben. Die Tannenbäume sollen ihnen ein kleines Stückchen Norden und festlichen Glanz bringen und vor allem Freude bereiten. Einige Bäumchen sind zudem mit Weihnachtsbildern versehen, die von Kindern gemalt wurden. Was für eine schöne Geste. Zudem ist „lebendiges Grün“ an Bord immer ein rares Gut und bereitet mit Sicherheit auch denjenigen Freude, die nicht christlichen Glaubens sind.

Am 08.12.2023, pünktlich um 12.30 Uhr legen wir bei Schneetreiben ab und steuern nach kurzer Fahrt auf der Elbe auf die „MS Otto Sverdrup“ zu, einem Expeditionsschiff der Hurtigruten zu.

Das Feeling an Deck erinnert an diesem Tag mehr an die Ankunft auf Spitzbergen/ Svalbard, als dem Hamburger Hafen. Ein wahres Wintermärchen! Wie auch immer, Frau Senatorin Dr. Melanie Leonhardt kommt das Privileg zu, den ersten Baum zu „übergeben“. Die Ladeluke auf dem untersten Deck des Passagierschiffes ist weit geöffnet und eigentlich …. ho,ho, ho … „Tannenbaumweitwurf“ will gelernt sein. Schon das erste Exemplar verfehlt sein Ziel und landet im Wasser. Da hilft auch der Enterhaken nichts mehr. Macht nichts, im zweiten Anlauf klappt es umso besser  und der Baum verschwindet sicher hinter der sich wieder schließenden Klappe.

Und weiter geht’s – immer in Begleitung der Wasserschutzpolizei und eines Löschbootes – zu einem riesigen COSCO-Containerschiff (China), das gerade entlädt. Dieses zeigt trotz Hupsignal und Ansprache jedoch keine Reaktion. Offensichtlich besteht kein Interesse; die „La Paloma“ dreht ab. Ein ähnliches, daneben liegendes Frachtschiff nimmt hingegen gerne an. Die Mannschaft winkt und grüßt zum Abschied. Sobald ein Bäumchen gut gelandet ist, ertönt auf der „La Paloma“ ein Signaljingle, es wird applaudiert und der Moderator macht Angaben zum nächsten Ziel.

Die Advents- und Weihnachtszeit sind vielleicht die härtesten Tage für alle, die an den Festtagen nicht bei ihren Familien sein können, sondern im Hafen- oder Hochseeschiffen Dienst tun müssen“, betonten die Initiatoren. Um überhaupt etwas Ruhe und Besinnlichkeit zu finden, wird im Hamburger Hafen vom 24.12. ab 14.00 Uhr bis einschließlich 25.12. nicht gearbeitet. Lotsen, Festmacher, Versorger, Ladecrews und Mannschaften können also festen Boden unter den Füßen spüren, wenn sie dies möchten.

Insbesondere die Corona-Jahre 2020 und 2021 waren hart, denn schätzungsweise 400.000 Seeleute konnten nach Ende ihres Einsatzes die Schiffe nicht verlassen, weil Flüge gestrichen waren oder Impfnachweise fehlten. Einige mußten daher unfreiwillig mehr als ein Jahr an Bord ausharren.

Auch in Rostock pflegt man mittlerweile den Brauch des Weihnachtsbaumwerfens. Anderswo, wie beispielsweise unter den Flußschiffern, gibt es dank der Unterstützung von Gönnern und der Seemannsmission zwar ähnliche Aktionen, jedoch ohne Tannenwurf.

Vor einigen Jahren war ich am Vormittag des 24.12. mit einem Schifferpfarrer auf dem Rhein bei Mannheim unterwegs. Das Wetter war regnerisch und windig; fünfzig Überraschungstütchen mit Weihnachtsgebäck und jeweils einem guten Tropfen warteten auf freudige Abnehmer. Doch kaum hatten wir den Hafen verlassen und einen Stückgutfrachter mit zwei Päckchen versorgt, versagte der Schiffsmotor und ein Manövrieren war in der Strömung kaum mehr möglich. Eine gefährliche Situation und sofort wurde an alle Schiffe der Umgebung sowie an die Wasserschutzpolizei ein Notruf abgesetzt und klassisch SOS getutet. Unser immerhin gut zwölf Meter langes Schiff mit dem Kreuz am Bug und über dem Steuerstand, konnte gerade noch bei einem holländischen Gastanker längs gehen und festmachen, der langsam rheinaufwärts fuhr. Die diensthabenden Seeleute reagierten sofort, staunten aber nicht schlecht darüber, um was für ein Schiff es sich handelte. Der junge Kapitän, der offensichtlich gerade eine Freischicht hatte, kam eilig gar in T-Shirt, kurzer Sporthose und Flippflopps an Deck, um sich über die Rettungssituation zu vergewissern. Eine Weile fuhren wir sicher vertäut mittschiffs parallel mit dem Frachter mit. Denn Anhalten ist für ein Frachtschiff keine Option. Unvermittelt wurde diese Besatzung unser zweiter und letzter „Kunde“ an diesem Tag. Die Übergabe fiel daher umso üppiger aus, so daß sich alle Matrosen und Steuerleute an Bord über eine Tüte freuen konnten. Von Bord zu Bord wurde ob der Situation währenddessen so mancher Scherz gemacht. Als sich nach zirka 10 Minuten die Wasserschutzpolizei näherte, fiel auch diese Begrüßung ob der Lage nicht minder süffisant aus. Sukzessive wurden wir von dem Frachter abgekoppelt und von der Polizei in’s Schlepptau genommen.

Für einen Moment sah ich schon die Schlagzeilen vor meinem Augen: „Rettung der Kirche in letzter Sekunde“ oder „Seelsorge in Not“. Was es nicht alles gibt. Selbstverständlich gehen einige weitere Geschenktüten nun an die Besatzung des Polizeibootes, die sich ein Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen konnte. Wenn schon an so einem Tag Dienst tun, dann wenigstens mit Schauspieleinlage.

Aber zurück nach Hamburg. Bevor es zur kleinen Marinebasis geht, stärken wir uns mit heißen Getränken und leckeren Fischbrötchen. Innen ist es mollig warm und die Stimmung unter den anwesenden Ehrengästen (darunter u.a. NDR-TV-Gärtner John Langley) bestens. Die Übergabe an A53 klappt dann auch reibungslos, denn natürlich ist es viel einfacher einen Baum von oben nach unten zu werfen, als umgekehrt. An anderer Stelle geht später eine weitere Tanne beim Wurf sprichwörtlich „Baden“ – auch männliche Werfer sind eben nicht unfehlbar und das ganze wird so erst zum riesen Spaß.

Beim Kaffeeplausch mit Werner Koop erfahre ich Näheres über den Ursprung der Aktion. Der Namensgeber des inzwischen beliebtesten Nadelbaumes (über 80% Marktanteil), der ursprünglich aus dem Kaukasus stammt, war der finnische Botaniker Alexander von Nordmann.

Dieser Nadelbaum ist deshalb so beliebt, weil er relativ weiche Nadeln habe und diese sehr lange halten. Schon in meiner Kindheit mußte es zu Weihnachten immer eine Nordmann-Tanne sein, die auf dem Balkon einmal bis Ostern stand. Dänemark sei – man höre und staune – mit 15 Millionen Bäumen pro Jahr inzwischen der größte Weihnachtbaumproduzent bzw. -exporteur Europas (in Hamburg liegt der Verkaufspreis bei EURO 20.- bis 25.- pro Meter). Dieses Jahr habe es im Vorfeld ungewöhnlich viel geregnet und die Bäume seinen überdurchschnittlich schwer und saftig grün.

Ohne der Polizeieskorte dürften wir uns – aus Sicherheitsgründen – keiner Schiffswand von Wasser her nähern. Sanft gleitet die „La Paloma“ dahin. Im weiteren Verlauf folgen u.a. einige Versorgungsschiffe und Bugsierer, die das ganze Jahr rund um die Uhr im Einsatz sind. Nach gut drei Stunden sind wir zurück an den Landungsbrücken und gehen von Bord.

Ich sage der Firma Nordmann DANKE“ für die Einladung zu diesem so perfekt organisierten Event bzw. anrührenden Projekt.

https://www.youtube.com/watch?v=-qN6zueQPdg

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