Was haben Thomas Mann und Ernest Hemingway gemeinsam? Beide waren Schriftsteller und haben meist an besonders schönen Plätzen gelebt. Dort suchten und fanden sie Zeit und Inspiration für ihre größten Werke. Und doch könnten sie beide auch nicht unterschiedlicher sein. Während Hemingway das Alltagsleben langweilte, er eher das ausgelassene, lässige Leben auf Kuba liebte und dort seinen Weltroman „Der alte Mann und das Meer“ schrieb (1951/52), neigte er in der inzwischen berühmten „Bodeguita del Medio“ auch häufig dem Alkohol zu. Der Mojito dort ist aber auch zu lecker.
Thomas Mann hingegen war eher ein akribischer Schriftsteller, der beim Arbeiten einem genauen Tagesablauf folgte und meist am Vormittag in seinem Schreibzimmer seine Gedanken zu Papier brachte. Dann mußte im Haus absolute Ruhe herrschen. So verfaßte er bereits 1901 in Lübeck das Epos der Kaufmanns Familie „Buddenbrook“ für das er 1929 den Nobelpreis erhielt. Auf der kurischen Nehrung in Nidden (heute Nida in Litauen) schrieb er von 1929 bis 1932 in seinem Sommerhaus mit „Memel- und Saharablick“ u.a. „Joseph und seine Brüder“; und im Davoser Kurhotel „Schatzalp“ beendeter er 1924 schließlich den tausend Seiten langen Literaturklassiker „Der Zauberberg“.
Sein Zauberberg war ohne Frage die Schatzalp. Er selbst war eigentlich nur wenige Wochen in Davos und eher der Kurschatten seiner Frau Katia (1912). Die „Schatzalp“ hoch über Davos auf 1861 Meter gelegen, war ab 1900 ein (Luxus)Sanatorium für Tuberkulosepatienten, die sich ihre Krankheit leisten konnten. Auch Kronprinz Wilhelm II und seine Frau Cecilie sollen hier oben ab 1906 mehrfach gewesen sein. Allerdings nicht als Patienten, sondern als Davos-Liebhaber und Wilhelm – man höre und staune – als leidenschaftlicher Bobfahrer.
Einmal hier oben angekommen, blieb man gegebenenfalls Monate lang, wenn nicht so gar Jahre. So auch der Protagonist seines Buches „Hans Castorp“. Heute ist die Schatzalp ein historisches Berghotel mit grandioser Aussicht und vielen architektonischen Reminiszenzen, dem immer noch ein gewisses Sanatoriums-Flair anhaftet.
Seinerzeit reiste man ausschließlich mit der (Rätischen) Bahn an: „Gültig bis zur Heilung“ stand damals auf unzähligen Bahnkarten nach Davos. So wird auch der Arzt im Mann´schen Zauberberg nicht müde, einen „feuchten Fleck auf der Lunge“ zu diagnostizieren oder einen Lungenkatarrh, der sich leicht zu Tuberkulose auswachsen könne; so etwa die Diagnose bei Katia Mann (1912). Allerdings sei gesagt, daß nur die wenigsten Patienten die Schatzalp als geheilt verließen. Im Rahmen jeder Kur legendär wurde der „Blaue Heinrich“, ein blauer Gasspuknapf. Unbestritten wirken Sonne und Gebirgsluft gesundheitsfördernd und das Nichtstun langer Liegekuren auf dem breiten Balkon entspannend. Man flanierte, schrieb Briefe, plauderte oder musizierte. Auch die Verpflegung war mit fünf Mahlzeiten (mit je 4-7 Gängen) pro Tag und viel fetter Milch mehr als üppig, aber wirkliche Heilung brachten erst 1947 bzw. 1960 Antibiotika wie Streptomycin. Als Robert Koch 1905 für seine Entdeckung des Tuberkelbakteriums den Nobelpreis erhielt, starb in Deutschland noch jeder Siebente an TBC, auch Schwindsucht genannt.
Die Schatzalp war übrigens der erste Stahl-Beton-Bau der Schweiz und öffnete zu Weihnachten 1900 seine Pforten. Weitere bauliche Superlative waren ein elektrischer Aufzug, Fußbodenheizung, Telefon, geheizte Badewannen, heizbare Toilettensitze, Speiseaufzüge mit Rechauds für das Zimmerservice, tiefe Balkone, Rodelbahn, Schach- und Konversationszimmer, Rauchzimmer und Damensalon, Bibliothek, später sogar ein Röntgengerät. Ferner gab es einen Friseur, ein Postamt und eine Dunkelkammer für Fotofreunde. Einiges davon lässt sich heute noch entdecken: sei es während einer Hausführung oder als Tagesgast im „Berghotel Schatzalp“.
Vieles sieht heute noch genauso aus wie zur Zeit Thomas Manns, wie z.B. die Reception, die Caisse und der Concierge sowie die Fahrstühle. Beim Blick in den Speisesaal muß man an den im Roman beschriebenen „Russentisch“ denken, an dem die Verehrte des Hauptprotagonisten, Madame Chauchat, saß. Ebenfalls noch da, sind Nachbauten der gelben Rattanrohr-Betten für die Liegekur, einige Leuchter und Kerzenständer sowie der große offene Kamin und diverse Fliesenreihen. Ob Mann bei seinem Roman ausschließlich von der Schatzalp inspiriert wurde, sei dahin gestellt, denn damals gab es in Davos auch schon andere Luxusherbergen. Auch wenn er nur zur Besuch weilte, ließ auch er sich sicherheitshalber vom Chefarzt der Schatzalp untersuchen, der natürlich eiligst mit Unternehmergeist einen „Schatten“ auf der Lunge attestierte. Immerhin war er starker Raucher. Sein Hausarzt telegrafierte jedoch umgehend zurück: „Sie wären der Erste, der bei einer Untersuchung in Davos nicht irgendeine „Stelle“ gehabt hätte. Kommen Sie nur gleich zurück. Sie haben in Davos gar nichts zu suchen.“
Will man nicht den Wanderweg nehmen, benötigt man mit der Schatzalp Bahn vom Zentrum Davos aus (H/R CHF 20.-) nur gute fünf Minuten bis zum Laubengang des Hotels. Vor 100 Jahren benötigte die Bahn etwa doppelt so lang. Damals wie heute gibt es noch den unterirdischen Verbindungsgang zwischen Hotel und Bergstation der Bahn, der m.W. allerdings kaum mehr genutzt wird. Im Röntgenraum von 1923 ist heute die X-Ray Bar eingerichtet, es gibt eine moderne Sauna und (im Sommer) einen alpinen Garten mit mehr als 50 Edelweiß-Arten. Wohnen kann man in restaurierten Südlage Zimmern mit Ausblick und Balkon, in der Kaiser Wilhelm Suite oder aber auch in der günstigeren Nordseiten-Zimmern „hinten raus“. Letztere wurden früher meist von mitreisenden Bediensteten oder Kindern bewohnt. Der Betrieb und Erhalt des historischen Baus scheint jedoch ein (finanzieller) Drahtseilakt; wirkt einiges zwar charmant, aber auch etwas runtergekommen.
Bis heute gibt es genügend literarisch interessierte Gäste, die hier herkommen, um für einige Momente auf den Spuren der Manns, Robert Stevenson („Die Schatzinsel“), Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) oder Arthur Conan Doyle („Sherlock Holmes“) zu wandeln. Hemingway soll übrigens nie hier gewesen sein. Der Weltenbummler schwärmte mehr für das Montafon (dort soll er sich 1924/25 gar als Skilehrer betätigt haben) und Chamby oberhalb von Montreux im Wallis.
Für einen Moment schließe ich die Augen. Auch wenn mal nicht die Sonne scheint: Wie gut habe ich es hier getroffen, am Rande der hauseigenen Strela-Skipiste zu sein und herrlichen Rhababerkuchen zum „Eichhörnli-Kaffee“ (mit Nußlikör) genießen zu können.