Hinter den Kulissen einer Bergbahn und eines Käsekellers. Beides zu sehen und zu erleben an einem Tag in Graubünden. Zum Beispiel in den kleinen Walser-Dörfern Splügen und Nufenen am Rande der Viamala-Schlucht gleich am Eingang bzw. Ausgang des San Bernardino-Tunnels gelegen. Hier geht es teils noch archaisch und traditionell zu, einiges aber ist hochmodern. Schon mal einen Käseroboter bei der Arbeit gesehen? 

Mitten im Dorf gelegen trifft man, umgeben von uralten Schindelhäusern auf ein moderneres Gebäude, daß eher wie eine Tankstelle ohne Zapfsäulen aussieht. Schaut man genauer hin, erkennt man neben dem kleinen Hofladen-Automaten, der mit Molkereiprodukten bestückt ist, einige blaue Schläuche und bemerkt hinter den kleinen Glasfenstern geschäftiges Treiben. 

Willkommen fühlt man sich vom ersten Moment an, denn Geschäftsführer Christian Simmen läßt es sich nicht nehmen, höchst persönlich einen Einblick in das kleine Unternehmen zu geben. Alles ist in der Sennerei Nufenen blitzsauber und der Hygiene wegen heißt es zunächst Überschuhe anziehen. Mit Begeisterung und nicht ohne Stolz spricht er über die Anfänge, Rückschläge, die vielen Auflagen und Erfordernisse, den Vertrieb und die Konkurrenz im internationalen Geschäft. An anderer Stelle gibt er Erklärungen zu den Kesseln, Pressen und Stempeln. Man merkt dem Jungfünfziger einfach an, daß er jeden Schritt dieses Handwerks beherrscht, denn er ist seit 27 Jahren der Macher und die treibende Kraft. Egal, ob es um Vermarktung oder die Kunst des Käsens an sich geht. Die Krönung war 2010 letztlich das automatisierte Käselager, das damals überdimensioniert erschien und jetzt schon wieder ausgebaut werden muß. Dazu später mehr.

Die Trumpfkarte der Region ist die in hochalpiner Lage produzierte Bio-Milch, d.h. das schmackhafte Bioheu – da möchte man Kuh sein. Dieser Umstand allein ist jedoch kein Selbstläufer, denn ohne Sorgfalt bei der Milcherzeugung und einer melkfrischen (noch lauwarmen) Ablieferung in die Käserei (samt regelmäßigen Analysen) sowie das handwerkliche Geschick bei der Käseherstellung und Reifung geht ähnlich der Önologie beim Wein nichts. Natürlich benutzen seine Käsemeister im Verlauf des Produktionsprozesses gewisse Kontrollinstrumente wie z.B. einen Meßstab zum Prüfen des PH-Wertes. Noch während er es ausspricht, muß er jedoch schmunzeln, denn meist kennen sie den korrekten Wert schon zuvor und entscheiden im Zweifelsfall nach Feeling und Erfahrung.

Goldfingerkraut, Wiesenorchideen und Prachtnelke sind nur einige der Zutaten des äußerst schmackhaften Bergheus. In den raren Bergkräutern finden sich Spurenelemente und wertvolle Omega 3 Fettsäuren und somit auch in der Milch bzw. dem Käse wieder. Nach einer späten Schneeschmelze auf 1600 bis über 2300 Metern Höhe gedeihen diese vielfältigen Naturwiesen nur einmal im Jahr. Zudem erfordere das Mähen in den Steilhanglagen einen enormen Aufwand. Das kräuterreiche Futter wird ausschließlich getrocknet gefüttert. Auf die Herstellung von Silage wird zu Gunsten einer hohen Milchqualität konsequent verzichtet. Täglich morgens und abends wird die Milch von den beteiligten Genossenschaftsbauern frisch angeliefert – das mache den Unterschied. Für die Milchbauern bedeutet dies einen langen Tag 365 Tage im Jahr. Bereits um 05.30 Uhr werden die ersten Ladungen nur vier bis fünf Kannen zu je 50 Litern) in der Sennerei abgeliefert. Die zweite Anlieferung, die ich miterlebe, erfolgt gegen 18.30 Uhr. Heute natürlich mit einem kleinen Trecker und nur noch vereinzelt per Handkarren.

Pro Jahr werden hier 1,5 Millionen Liter Biomilch zu rund 150.000 Kilogramm Käse verarbeitet, denn in der Regel ergeben 10 Liter Milch ein Kilogramm Käse. Auf’s Jahr gerechnet bedeutet dies eine täglich zu verarbeitende Milchmenge von 4.100 (maximal 6.500) Litern. Aus dem kleinen Rest werden Joghurt und Butter gemacht. Der reine Milchpreis liegt derzeit bei zirka 0,93 CHF (= 0,95 EURO); knapp 8,5% der gesamten Milchmenge in der Schweiz ist Biomilch.

Alle Landwirte hier bewirtschaften ihre Höfe bereits seit über 32 Jahren nach Bio-Suisse Richtlinien und legen großen Wert auf einen nachhaltigen Umgang mit Tier und Natur. Meist stehen nur 15 -20 Kühe im Stall. Im Nufener Hochtal wird seit 1848 Käse hergestellt. Die kleine Sennerei-Genossenschaft stellt aber erst seit gut 50 bzw. 27 Jahren in Eigenregie verschiedene Käsesorten her. Ihr aktueller „König“ ist der Bio-Bergkäse, der inzwischen auch international beliebt ist und u.a. auch nach Deutschland exportiert wird. An dieser Stelle liefert Simmen freimütig viel Info über den liberalen Käsemarkt in der Schweiz und der EU – ohne Zölle, aber gnadenlose Konkurrenz. Ferner kämpfe man gegen das Image teuer zu sein. Insbesondere der starke Franken bzw.  schwache Euro – und noch ein paar andere Faktoren – machen die Exporte aus der Schweiz schwieriger. Man kann sehen, wie es ihn ärgert, auch wenn er versucht das Problem wegzulächeln. 

Ein weiteres Dauerthema ist die Molke, die nach abschöpfen des Käsebruches entsteht. Wohin mit dem „Käsewasser“? Obwohl einhundert Prozent biologisch, darf sie nicht in Gewässer wie dem vorbei fließenden Hinterrhein eingeleitet werden, da dies das Ökosystem durch die Eiweiße und den Zuckergehalt kippen könnte. Einst hätten sich mal chinesische Unternehmen dafür interessiert, um Babynahrung oder Milchpulver daraus herzustellen. Ja, sie kamen mit großen Analysekoffern, ließen sich den Trip bezahlen und begannen unendliche Diskussionen mit Sonderwünschen zum Dumpingpreis. Da habe man irgendwann lieber Abstand genommen.

2010 sei für die Milchbauern schließlich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. In 4.500 Arbeitsstunden Eigenleistung und mit äußerst geringen öffentlichen Fördermitteln entstand das modernste Reifelager in der Region. Die Sennerei Nufenen verfügt seither über 16.000 Käse-Reifeplätze, welche durch Roboter Charlie bedient werden können. Der Reifelager-Neubau mit Klimaanlage ist somit Garant für eine hohe Qualität und Konstanz in der Käsereifung. Zudem bietet er den vier Mitarbeitern attraktive und zeitgemäße Arbeitsbedingungen. Wie eingangs erwähnt sorgt nun „Käseroboter Charlie“ für den Feinschliff bzw. für eine hochwertige Verarbeitung der Biomilch der 22 lokalen Betriebe. Beim Betreten des Lagers riecht es ein wenig nach Ammoniak (natürliches Gas, das bei der Käsereifung durch Proteinabbau entsteht) und natürlich kann man beim Rundgang „Charlie“ bei der Arbeit zuschauen. Er ist nicht der Schnellste, schafft  innerhalb von 24 Stunden aber immerhin einen Lagerdurchgang. Handpflege wäre heute aufgrund mangelnder Fachkräfte gar nicht mehr möglich. Den Namen „Charlie“ habe ihm übrigens seine Mutter vergeben – so Simmen.

Nach all der Theorie gibt es am Ende natürlich eine ausführliche Verkostung: Parat liegen Stückchen des sechs, zwölf und fünfzehn Monate alten Bergkäses. Was für ein Unterschied in Geschmack und Konsistenz. Qualität wird natürlich nicht nur von den Konsumenten geschätzt. Vor ein paar Jahren erhielt der besagte Nufener bei den Swiss Cheese Awards eine Goldmedaille in der Kategorie Bündner Bergkäse.

Als ich den Mitarbeiter frage, ob er Käse denn noch sehen könne, ernte ich staunende, ja fast vorwurfsvolle Blicke. Und natürlich macht er sich lächelnd mit Manneskraft und einem glänzenden Käsemesser daran, weitere Stücke ganz frisch vom Laib aufzuschneiden. Oh mein Gott schmeckt der auch ohne Brot gut – allein diese herrliche Konsistenz! Die Massenware die man im Supermarkt kauft, schmeckt dagegen fast wie Pappe und man muß man sich fragen, ob es überhaupt echter Käse ist. Das Geheimnis ist immer der perfekte Reifegrad bzw. die Lagerdauer, was natürlich den Preis erhöht und Kapital bindet. Auf den Regalen lagert da (auf Basis des Großhandelspreises) schon mal Käse im Wert von gut einer Million Schweizer Franken (= 1,05 Mio EURO).

Nufener Bio-Bergkäse ist ein fein-würziger, aromatischer (Halb-)Hartkäse und je nach Alter herrlich geschmeidig oder etwas härter in der Konsistenz. Er ist thermisiert, hat einen Fettgehalt in der Trockenmasse von 50 bis 54% (je nach Jahreszeit der Milchlieferung), der Laib misst im Durchmesser 27 Zentimeter mit einem Gewicht von fünf bis sechs Kilogramm. Die Rinde weist im Inneren eine gewisse Rotschmiere auf, seine Reifezeit beträgt zwischen fünf und fünfzehn Monate.

Ich nehme mir zum super günstigen Einkaufspreis auch gleich noch ein riesen Glas Schoggi-Joghurt sowie einen kleinen Nufener Bio-Mutschli mit. Er ist ein eher weicher Halbhartkäse, der ebenfalls aus thermisierter Milch der 22 regionalen Milchbetriebe (Umkreis max. 10 km) hergestellt ist. Er hat nur einen Durchmesser von acht bis zwölf Zentimeter und wiegt 200 bis 400 Gramm bei einem Fettgehalt von 60%.

Welche Käsesorten es in der Schweiz gibt und nach welchen Fettstufen sie unterteilt werden, kann man u.a. auf Wikipedia nachlesen. Insgesamt soll es – je nach Betrachtungsweise – zwischen 450 und 700 Sorten geben, aber nur 11 davon genügen der strengen AOP-Anforderungen und werden als originär Schweizer Käsesorten betrachtet. Die gängigsten sind Emmentaler, Appenzeller und Gruyére (oft auch Greiezer genannt). Geregelt wird dies alles im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (DPA). Wer kennt sie nicht, die riesigen Käseräder. Und wie kommen nochmal gleich die Löcher in den Käse? Grundsätzlich ist Käse ein guter Kalzium- und Eiweißlieferant.

Ich persönlich liebe de zart-cremigen Luzerner Rahmkäse und bin seit dem Besuch der Nufener Sennerei Fan des hiesigen Bergkäses. Über Geschmack läßt sich bekanntlich ja nicht streiten, oder doch? In einem 2023 erschienen weltweiten „Taste-Atlas-Käse-Ranking“ schaffte es nur der ansonsten hochgelobte Gruyere auf Platz 29 (selbst die Franzosen schafften keinen Top-10-Platz). Das Ergebnis überraschte um so mehr, als der besagte Gruyere bei den Käseweltmeisterschaften 2022 noch Siege abgeräumt hatte. Was ist das los? Subjektive Wertungen oder wandelt sich der Geschmack?

Wie auch immer, der in Nufenen hergestellte Bio-Alpenkäse hat eine schöne milde Komplexität und Würze. Er gilt mit seinen 50 Jahren vergleichsweise als junger Käse. Andere können da 150 bis 200 Jahre Geschichte vorweisen. Die Milch für den Nufenen stammt von Alpherden, also Braunvieh, das den Sommer auf Hochalmen mit dort einzigartigen Gräsern und Kräutern zubringt. Es handelt sich also um saisonale Käsesorten.

Nufenen ist im Vergleich zu anderen Alpine-Produkten in einem relativ kleineren Format erhältlich, hat einen Durchmesser von 10 Zoll und ein Gewicht von etwa 10 bis 12 Pfund. Die Milch wird thermisch behandelt, allerdings bei niedrigeren Temperaturen und für eine kürzere Zeit als bei der Pasteurisation. In Europa gibt es grundsätzlich drei anerkannte Klassifizierungen der Milchverarbeitung: roh, thermisiert und pasteurisiert. Thermisiert bedeutet, daß die Milch nur kurz (max. 15 Sekunden) auf 55 bis 68 Grad (anstatt auf 72 Grad) erhitzt wird.

Der Nufenen reift vor Verkauf/ Export fünf bis fünfzehn Monate lang, wobei die Rinde beim Wenden regelmäßig mit einer speziellen Salzlake gewaschen wird. Sie erhält so eine rötlich-braune, trockene Rinde und es entwickelt sich ein tief karamel-brauner Streifen unter der Rinde. Seine Paste ist goldfarben, dicht und cremig, mit blumigen Noten. Der Geschmack ist buttrig, nussig und mild-würzig. Wer mehr wissen möchte, kann per Mail ch.simmen@bluewin.ch oder bei seinem Käsefachhändler oder in ausgewählten Bio-Füllhorn-Märkten nachfragen.

Für Liebhaber von Statistiken werden in puncto Schweizer Käse (Mengenangaben in Tonnen) hier fündig: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/436232/umfrage/kaeseproduktion-je-kaesesorte-in-der-schweiz/ An der Spitze steht AOP Gruyere mit rund 30.000 Tonnen pro Jahr, gefolgt von Mozzarella mit 25.000. AOP steht für Appellation d‘ Origine Protégée und bedeutet wie im Falle von Wein eine geschützte Ursprungsbezeichnung. AOC garantiert die Herkunft der Milch, den Herstellungsort und dessen Veredlung nach bestimmten Kriterien.

Wie auch immer: Offiziell heißt es zwar, daß der Star der Sennerei bzw. des Reifelagers Roboter „Charlie“ sei. Ich glaube, es ist die eingeschworene Gemeinschaft mit dem Willen optimale Produkte herzustellen und bei jeder Handlung und Investition langfristig zu denken, wie ein Waldbauer.

Apropos: Ohne gute Milch, keine gute Schokolade und keine Schoko-Eier oder Osterhasen. In diesem Sinne „FROHE OSTERN„. Gerne bei einem herrlich geschäumten Cappuccino zum Frühstück und verführerischen Käsehäppchen zum blutrotem Tinto am Abend. 

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