Wer das einzigartige Timbre einer Guanieri oder Stradivari erfahren möchte, muß nicht unbedingt ein teures Konzertticket kaufen oder gar nach New York reisen. In Cremona ist dieses Klangerlebnis für Jedermann erschwinglich und überdies kann man im dortigen „Museo del Violino“ einige dieser legendären Instrumente im Original bestaunen.

„Der Himmel hängt voller Geigen„ – seltsamer Spruch, der viel Raum zur Interpretation läßt. Und doch gibt es einen Ort, wo dies fast real zutrifft: CREMONA. Die oberitalienische Stadt ist der Inbegriff für alle Liebhaber von Streichinstrumenten. Waren hier doch Amati, Guanieri und Stradivari fast zeitgleich ansässig und tätig. Diese Namen sind im wahrste Sinne des Wortes Musik in meinen Ohren.

Ich mache mich also auf nach Cremona, das seit Jahrhunderten nach wie vor das weltweite Mekka der Geigenbaukunst ist. Mindestens 80 Meisterwerkstätten soll es hier geben und Instrumentenbau-Schüler aus der ganzen Welt streben eine Aus- oder Fortbildung an besagter historischer Stätte an. Ähnlich ergeht es vielen Musikern, um einmal die „erste Geige“ zu spielen bzw. den sprichwörtlichen Geigenolymp zu erobern.

Zwar schwärmen die einen mehr für den Klang einer Guanieri, die anderen eher für den einer Stradivari. Aber auch ihre heutigen Nachfahren, bringen das Holz gekonnt zum Klingen. Aus Tradition benutzen sie dasselbe Material. D.h. man fertigt Hals und Boden aus Ahorn, das eine feine, unregelmäßige Maserung hat. Die Decke hingegen wird fast immer aus Fichte gebaut, da diese Holzart im abgelagerten Zustand die besten akustischen Eigenschaften hat. Es soll Geigenbauer geben, die schon beim Berühren des Holzes sich dessen Klangqualitäten vorstellen können.

Nicht nur die berühmten, erfolgreichen Geiger*innen unserer Zeit – wie Anne-Sophie Mutter, David Garrett oder Andre Rieu – besitzen m.W. so ein Instrument; sei es als Dauerleihgabe von Mäzen oder im Eigentum. Die seinerzeit seltener gebauten Bratschen oder Celli sollen so gar noch mehr wert sein. Wer sie besitzen will, muß dafür mittlerweile allerdings horrende Summen in zweistelliger Millionenhöhe hinlegen. Der Begriff „Kapitalanlage“ erscheint da in völlig neuem Licht. Ob gerechtfertigt, steht – ähnlich wie bei Kunstobjekten – auf einem anderen Blatt.

Einsatz zeigen muß auch ich schon auf dem Weg in die Po-Ebene. Obwohl erst Anfang Juni beträgt die Temperatur bereits morgens um 10.00 Uhr 25 Grad und es wird immer heißer. Zudem ist die Autobahn mal wieder brechend voll und das Ambiente südlich von Milano nicht gerade eine Augenweide. Die meist landwirtschaftlichen Betriebe wirken marode und erinnern mich spontan an die Zeit von Don Camillo und Pepone – Ende der Fünfziger Jahre. Breschello läßt grüßen.

Cremona – ein lebendiges Stück Musikgeschichte

Sobald man aber das heute etwa 73.000 Einwohner zählende Städtchen Cremona erreicht hat, wird man für die lange Anfahrt entschädigt. Auf engstem Raum gibt es Gebäude aus dem Mittelalter und der Renaissance, aber auch im Stil der faschistischen Ära sowie des 20. Jahrhunderts.

Besonders schön präsentiert sich die „Piazza del Commune“ bzw. der Domplatz mit seinen Arkaden, dem „Torrazzo“ und der „Loggia die Militi“. Und hier gleich um die Ecke an der Piazza Marconi liegt auch mein heutiges Ziel: das „Museo del Violino“ (Fondazione Stradivari bzw. Stiftung und Accademia Stauffer) samt exklusivem Auditorium „Giovanni Arvedi“ für Konzerte (464 Sitzplätze). https://www.museodelviolino.org/it/

Erklärt und gezeigt wird alles von der Entstehung eines Instrumentes bis hin zu Stradivari’s handschriftlichen Testament. Jegliches Instrumententeil wird in Handarbeit gefertigt, d.h. mit Schabern, Sägen, Feilen, Hohlmeißel, Stichel, Stimm- und Stärkenmesser etc. in unzähligen Arbeitsschritten in Form gebracht. Zuerst müssen die Zargen, also die Seitenwände des Instruments hergestellt werden. Die ca. ein oder zwei Millimeter dicken Holzstreifen bekommen ihre Form dann mit dem Biegeeisen und die Zargenform mittels Wärme. Wenn sie fertig sind, wird der Umriss der Zargen auf den Boden und die Decke gezeichnet und so weiter. Jeder Schritt bedeutet viel Geduld und Aufmerksamkeit, denn angesichts dieser Feinstarbeit läßt sich kaum ein Fehler nachträglich korrigieren. Eine geradezu bildhauerische Leistung ist die Formung der „Schnecke“, die zugleich die persönlichste Handschrift des Geigenbaumeisters trägt. Insbesondere, wenn man im Stil Amatis, Guanieris oder Stradivaris arbeiten will bzw. sich dem Nimbus verpflichtet fühlt. Die Bögen sind mit dem üblichen Roßhaar bespannt.

Nach monatelanger Arbeit kommt schließlich der entscheidende Moment

Ein kleines, rundes Holzstäbchen wird zwischen Decke und Resonanzboden eingespannt und Millimeter für Millimeter justiert. Diese Operation verlangt besonderes Fingerspitzengefühl, denn dadurch bekommt die Geige ihren eigenen Charakter: Der Stimmstock, auf Italienisch „l’anima“, die „Seele“, bestimmt den Klang des Instruments; für jeden Musiker das Wichtigste.

Während einige Ateliers eher chaotische Anblicke bieten, sind die besagten Werkzeuge und allerlei Fläschchen an anderer Stelle in Reih und Glied angeordnet. Dabei handelt es sich meist um diverse Leimsorten und selbst hergestellte Harze oder Lacke, die bis zu 30 Mal auf den Corpus aufgetragen werden.

Allein Stradivari (1644 – 1737) soll ca. 1.100 Instrumente gebaut haben, darunter 960 Geigen. Man geht davon aus, daß davon noch 650 Instrumente erhalten sind, die über die Zeit (meist im 19. Jh.) behutsam restauriert oder nach den Bedürfnissen der jeweiligen Virtuosen angepaßt wurden. Wobei die früheren Amatis und Guanieris grundsätzlich etwas kleiner sind, als die Instrumente Stradivaris zwecks Steigerung des Klangvolumens.

Die Schatzkammer – Sesam öffne dich

Der Höhepunkt des Rundganges ist zweifelsohne der abgedunkelte und mit rotem Samt ausgestattete Saal Nr. 5. „lo scrigno dei tesori“. Hier ruhen, besser gesagt stehen in beleuchteten, gesicherten Glasvitrinen die Objekte weswegen alle hierher pilgern. Im Raum wird nur geflüstert; man gibt sich der andächtigen Betrachtung hin. Alle diese Schätzchen sind zwischen 200 und 350 Jahren alt, wurden behutsam teilrestauriert und sehen tadellos aus – ganz so, als ob sie aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt und gespielt werden möchten. Die meisten der Geigen haben gesonderte Namen wie „Guanieri del Gesu“, „Il Cremonese“ (von 1715, deren Boden aus einem Stück besteht, man schreibt ihr goldene Nuancen zu), „Messiah“ oder „Lady Blunt“ . Letztere gilt als die am besten im Originalzustand erhaltene Stradivari und hat im Zeitraum von 1972 bis 2008 auf diversen Auktionen eine sagenhafte Wertsteigerung von U$ 200.000.- auf 10 Millionen US Dollar erfahren.

Und dann der Blick in einen leeren Glaskasten mit der Kennung „Glisbee 1669“. Das fehlende Stück hat es offenbar in die Freiheit geschafft, denn es wird in wenigen Minuten von der hervorragenden Künstlerin Aurelia Macovei anläßlich eines Matinee-Konzertes zum Leben erweckt werden.

In der Tat ist es Zeit, auf den apricotfarbenen Polstersitzen des Auditoriums Platz zu nehmen. Sie setzt an: der Klang ist von der ersten Sekunde an kristallklar. Ein unvergeßlicher Klangmoment, gereift in der Tradition aller, die im Laufe der Zeit darauf spielten.

U.a. spielt Macovei Vivaldis „Vierjahreszeiten“, ein Stück des einstigen Zaubergeigers Paganini, zwei Tangos von Piazzola und schließlich einen Czardas von Monti. Alles Stücke, die die Vielfalt des Instrumentes perfekt in Szene setzen und die unglaubliche Spielpräzision von Macovei (insbesondere bei hohen und leisen Tönen) zur Geltung bringen. https://www.paganino.de/10geigen/

Kaum sind die letzten Töne verklungen, übergibt die Violinistin das exklusive Stück dem Kurator des Hauses, der es höchst selbst unter den Augen eines Sicherheitsbeamten in das kleine Transportköfferchen bettet und eiligst den Konzertsaal damit verläßt. Ich konnte zwar noch schnell einen Blick darauf werfen, Fotos oder eine unmittelbare Annäherung waren nicht erlaubt.

Fast berauscht von der einmaligen Akustik des vollständig aus geschwungenem Holz gebauten Auditoriums trete ich wieder ins gleißende Sonnenlicht.

Bevor ich den Rückweg antrete, lasse ich mich nach einem kühlen „Spritz“ und einem zünftigen Cappuccino noch etwas durch die schmalen Gassen des Centro Storico treiben und meine hier und da aus hohen Fenstern und Hinterhöfen zarte Geigenklänge zu hören … man könnte stundenlang hier verweilen, wo der Himmel voller Geigen hängt und man als Geiger*in davon träumt, einmal auf einem dieser kostbaren Saiteninstrumenten gespielt zu haben.

Es mag auch Skeptiker geben, die den unnachahmlichen Klang als subjektives „Gehör-Empfinden“ abtun; in jedem Fall aber bleibt dieses historische Handwerks-Know-How ein unschätzbares Kulturerbe. Davon abgesehen beherbergt das Museum auch ein paar extravagante moderne Stücke. 

 

Titelfoto: die Autorin anläßlich eines Fotoshootings für die Haar-Kosmetikfirma C:EHKO in Berlin (Fotograf Carsten Kofalk)
print
Autor

Write A Comment